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Die Troidischen Drei 
Der Antus 
Geständnisse 
Troiduin 
Pr. Umbridge und die DA 
Der Sprechende Hut 
Science-Fiction Lovestory 

 

Der Antus

 

1

Erledigt und ohne die erhoffte Wirkung einer erholsamen Nacht erwachte Duncan an diesem Frühlingsmorgen. Nur schwer öffneten sich seine Augen und ließen die warmen Sonnenstrahlen einströmen. Anstatt sich daran zu erfreuen, wie er es gewohnt war, störte es ihn. Auch das entfernte Zwitschern der Vögel ließ seine Stimmung sinken.

Es war ein seltsamer Tagesbeginn. Seine Glieder fühlten sich schlaff an, schlimmer noch als von der üblichen Morgenschwäche bekannt. Ihm war ein wenig mulmig zumute, aber dennoch quälte er sich aus dem Bett.

Im Bad erblickte er unscharf die Konturen eines 14-jährigen Jungen im Spiegel, der für sein Alter gut gebaut war. Die hellbraunen, festen Haare hatte er von seiner Mutter, die haselnussbraunen Augen sowie den Großteil seines Aussehens von seinem Vater.

Nach der morgendlichen Körperpflege fühlte er sich weiterhin träge und ausgelaugt. Ihm war ungewöhnlich warm, weshalb er vorsichtshalber Fieber maß. Aus seiner Hoffnung, einen freien Tag beschert zu bekommen, wurde nichts, denn seine Temperatur lag im Normalbereich.

Lustlos begab er sich somit zur Schule. Mit dem Fahrrad fuhr er, wie an jedem Tag, durch die Straßen der Großstadt. An diesem Tag war es jedoch schwer, sich auf den Verkehr zu konzentrieren. Ihm war trotz der Kälte des Morgens recht warm, seine Augenlider fühlten sich schwer an, obwohl ihn die Bewegungen hätten wach halten müssen. Es war eine außergewöhnliche Tortur, sich auf dem Fahrrad zu halten. Die Hände konnten sich kaum fest um das Lenkrad schließen. Die erste rote Ampel jagte ihm einen Schrecken ein, da er nicht in der Lage war, ordentlich zu bremsen. Ihm fehlte die Kraft, um den Bremshebel anzuziehen. Wäre er in einer guten geistigen Verfassung, dann würde er bei all diesen Anzeichen nicht weiterfahren. Für ihn zählte allerdings nur das Erreichen seines Ziels, um die Quälerei zu beenden.

Sein Kopf neigte sich zunehmend der Lenkstange entgegen, die Augen schlossen sich zeitweise und seine Geschwindigkeit nahm ab. Er fühlte sich sehr schlecht, was er nur noch teilweise mitbekam. Es war ihm nicht mehr möglich, einen klaren Gedanken zu fassen. Seine Bögen um die Kurven wurden immer größer, weil er die Entfernungen nicht mehr einschätzen konnte. Einmal hätte er dabei fast ein parkendes Auto gerammt.

Wie durch ein Wunder gelangte er unverletzt zu seiner Schule, allerdings in einer Verfassung, die er von sich nicht kannte. Das Fahrrad schloss er mit Mühe an den Ständer an, wobei er drei Anläufe benötigte. Langsamen Schritts bewegte er sich in Richtung Tür und die Gänge hinauf. Er verspürte eine geringe Verbesserung, nun, da er von dem wackligen Rad herunter war. Dennoch hatte ihm die kurze Fahrt sehr zu schaffen gemacht, was er insbesondere an seinem Schweißausstoß bemerkte.

Beim Treppensteigen bekam er zusätzlich Bauchschmerzen. Jede Stufe wurde dadurch zur Herausforderung, und zur Krönung musste er auch noch in den dritten, letzten Stock. Er dachte daran, sich nach Hause schicken zu lassen, aber jetzt, wo er einmal hier war, wollte er nicht umkehren. Teilweise hatte das auch mit seinem Stolz zu tun, denn er war normalerweise nie so krank, dass er nicht kommen konnte.

Ganz oben angelangt, ließ er sich an der Wand nieder. Erschöpft, verschwitzt und müde kauerte er nun wartend vor der verschlossenen Raumtür. Es würde nicht lange dauern, bis seine Freunde ankommen würden. Ihre Bande war meistens die erste in der Schule. Deshalb war Duncan bisher auch keinem begegnet. Er träumte reuevoll von seinem warmen Bett und einer guten Portion Schlaf.

Siri, ein aufgedrehtes, schlankes Mädchen, das er schon seit Beginn seiner Schulzeit kannte, setzte sich wenig später zu ihm. Auf ihr ,,Hallo“ antwortete Duncan nur kurz und ließ dabei den Kopf zwischen seinen Armen. Ihm fehlte die Kraft, sich mit ihr zu unterhalten.

Zum Glück beschäftigte sie sich mit dem Stoff aus der letzten Englischstunde und störte ihn nicht, was eigentlich seltsam war, da sie sonst den ganzen Tag lang ununterbrochen redete.

Auch als seine anderen Freunde kamen, sprach er nicht. Angie, Jade, Sarah, Tom und Sari unterhielten sich mit Siri, wobei sie ihn in Ruhe ließen.

Zusammen mit den anderen Schülern betraten sie den Raum, als die Lehrerin vor Ort war. Duncans Platz befand sich direkt vor der Tür, was das einzig Positive an diesem Tag zu sein schien. Zwischen Angie und Jade fühlte er sich wohl, auch wenn seine Bauchschmerzen von Zeit zu Zeit intensiver wurden und sich daraufhin wieder abschwächten. Angie war groß und stattlich, Jade hingegen klein, aber unglaublich liebenswürdig.

Nachdem Duncan sich ungeschickt in seinen Stuhl fallen gelassen hatte, fragte Jade besorgt, ob alles in Ordnung sei. „Ja, klar“, log Duncan. Ungläubig beließ sie es bei der Frage, behielt ihn jedoch im Auge. Auch Angie kam sein Verhalten spanisch vor.

Duncan versuchte sich vor der Stunde zu sammeln. Er würde das durchstehen. Doch als sie die erste Übung begannen, kam er überhaupt nicht mit. Sein Kopf war wie ein Sieb. Nichts von alledem, was seine Sinne ihm lieferten, kam im Gehirn an. Sein Bauch fühlte sich an, als würde sich ein Kind darin herumwälzen, und seine Muskeln waren so schlaff, dass er keinen Bleistift halten konnte. Mühevoll überstand er die erste Viertelstunde, ohne mitzuarbeiten. Dann ging es ans Lesen, doch er konnte nicht einmal die Buchstaben erkennen. Ihm wurde klar, dass er gehen musste. Es war zuviel. Nach der Stunde, so nahm er sich vor, würde er verschwinden. Jetzt wäre es zu peinlich, aufzustehen und zu gehen. Außerdem gäbe er sich damit einer Blöße hin, die seinem Erzfeind unheimlich gefallen würde.

Plötzlich wurden seine Bauchschmerzen unerträglich stark, weshalb er ein leises „Ah“ ausstieß. Angie fragte erneut, was mit ihm los sei. Er antwortete diesmal nicht. Sein Kopf tat ihm nun schrecklich weh und ihm war übel. Er sagte ihr, dass es ihm dreckig ginge und er gehen müsse, während er zu schluchzen anfing und Tränen ausschüttete. Die Erleichterung, nun zu gehen und alles loszuwerden, übermannte seine Gefühle.

Angie reagierte sofort, ging zur Lehrerin und beantragte eine Entlassung für Duncan. Weinend packte er derweil seine Sachen zusammen, stand auf und verließ zügig den Raum. Er konnte sich zwar kaum auf etwas Anderes konzentrieren, als seine Beschwerden, dennoch war ihm die Situation sehr peinlich. Alle hatten bemerkt, wie er heulend aus dem Raum gegangen war. Einige hatten sogar gefragt, was los sei, so hatte er vernommen, doch er war nicht in der Lage irgendwie zu reagieren.

Angie folgte ihm mit einem Schein, den sie zum Sekretariat bringen sollten. Zusammen gingen sie zur Treppe. Angie sah ihn besorgt an.

„Was ist denn los?“, fragte sie schließlich.

Duncan fühlte sich verpflichtet, ihr zu antworten, obwohl er nicht reden wollte. „Mir tut alles weh. Ich hab irgend-…“. Plötzlich krümmte er sich vor Schmerz in der Bauchgegend, so dass er beinahe die Treppe hinuntergestürzt wäre, wenn Angie ihn nicht gepackt hätte. Er ließ sich kurz nieder, bis der Schmerz wieder nachließ. Angie war jetzt aufgebracht. Sie fragte ununterbrochen, was los sei.

„Es geht schon wieder“, meinte er schwach.

Zusammen stiegen sie weiter hinab, wobei Angie ihn stützte. Ein weiterer Anfall plagte ihn kurz vor Ende des Abstiegs. Es war qualvoll, so als ob jemand seinen Darm lang ziehen würde. Kurz darauf erreichten sie ihr Ziel.

Die Tür zum Sekretariat wurde von einer rothaarigen, schlanken Person geöffnet, die höflich fragte, was sie wollten. Genau in dem Augenblick krümmte sich vor Schmerz und riss Angie mit sich zu Boden. Der Schmerz verbreitete sich auf seinen ganzen Bauchbereich. Weitere Tränen des Leids ließen sich nun nicht mehr vermeiden.

„Oh mein Gott. Was ist denn los?“, rief Frau Rieke, die Sekretärin, aufgebracht bei dem Versuch, ihm zu helfen. „Kannst du vielleicht aufstehen?“

Duncan hörte nichts von alledem. Seine Sinne waren gelähmt durch den Schmerz. Erst als es vorbei war, konnte er sich in den Raum tragen lassen. Sie brachten ihn sofort in das angrenzende Zimmer neben dem Eingang, wo eine Liege bereitstand. Frau Rieke nahm ihm seinen Rucksack ab und fragte Angie, was sie über seinen Zustand wusste. Angie erzählte ihr, was sie wusste, und gab ihr den Zettel.

„Soll ich hier bleiben?“, fragte Angie ihn, als die Sekretärin zu ihrem Schreibtisch ging und telefonierte.

„Nein, es geht schon.“ Duncan wollte jetzt nur seine Ruhe haben und schloss die Augen. Er lag endlich; unglaubliche Glückshormone durchflossen ihn deshalb. Es war wie ein Traum, der ihn davontrug und seine Leiden in der Realität zurückließ. Nur schwach konnte er die Beschwerden spüren.

Nach kurzer Zeit war Angie verschwunden und Frau Rieke kam zurück. „Du hast also Bauch- und Kopfbeschwerden?“ Duncan nickte schluchzend. „Und dein Name ist Duncan Reimer?“ Wieder ein Nicken. „Hast du sonst noch irgendetwas, das ich wissen sollte?“ Außer seiner Trägheit fiel ihm nichts ein. „Ok, dann werde ich jetzt deine Temperatur messen.“ Sie nahm sich ein neuartiges Ohrthermometer, das ihr nach 5 Sekunden die genaue Temperatur anzeigte. „39,5. Das ist nicht gut. Du musst unbedingt zum Arzt. Ist jemand bei euch zu Hause? Ich habe eben schon probiert dort anzurufen, aber es ging niemand ran.“

„Nein, es sind alle arbeiten.“

„Hast du eine Nummer von der Arbeit?“

Er wusste die Nummer seiner Mutter auswendig, allerdings konnte er sie im Moment nicht abrufen. Zum Glück hatte er sie in seinem Handy eingespeichert, also zeigte er sie ihr. Danach konnte er sich eine Weile ausruhen, während sie versuchte jemanden zu erreichen. Es war ein Segen, einfach nur dazuliegen. Dennoch flossen ihm die Tränen. Im Liegen hatte er bisher keine Anfälle gehabt, trotzdem fürchtete er sich vor weiteren.

Als er kurz vor dem Einschlafen war, kam Frau Rieke zurück in das Zimmer und fragte ihn, ob er mit seiner Mutter reden wolle. Duncan wollte auf keinen Fall aufstehen, andererseits musste er ihre Stimme hören. Es würde ihm danach besser gehen. Leider war das Schnurtelefon zu kurz, um es ihm zu bringen. Er stand also im Schneckentempo auf und ging Schritt für Schritt in das andere Zimmer. Frau Rieke blieb bei ihm.

Er ergriff das Telefon. „Hallo?“

„Duncan, was ist denn los? Wie geht es dir?“ Seine Mutter wusste, wie es um ihn stand, doch sie musste es von ihm hören.

In dem Moment erfüllte sich Duncans Angst und er fiel auf die Knie. „Arrgh!“, brachte er dabei heraus. Frau Rieke legte unwissend ihre Hände um ihn, konnte allerdings nichts bewirken.

„Duncan! Was ist los?“ Für sie brach eine Welt zusammen. Ihr Sohn hatte Schmerzen und sie konnte nicht bei ihm sein. Ihm nicht helfen.

Es hörte schlagartig wieder auf. Keuchend und schluchzend sagte er in den Hörer: „Bitte hol mich ab! Diese… diese Bauch…schmerzen.“

„Ich bin gleich da, Spatz. Halte durch, ja!?“ Sie legte auf.

Es ging für Duncan zurück zu seiner Liege. Die Reise dorthin dauerte ihm viel zu lang, aber der Erlös war es wert. Frau Rieke war besorgt um ihn, doch sie konnte ihm nichts als Ruhe gönnen. Die nächsten Minuten konnten sie nur abwarten.

 

2

 

Während sich Duncan im Sekretariat seiner Schule quälte und mit seinen fürchterlichen Schmerzen kämpfte, beobachtete ihn ein alter Herr durch eine schwebende Kugel so groß wie ein Kleinwagen. Sein gräuliches, schulterblattlanges Haar passte zu dem langen, silbernen Gewand, das bis zu seinen Zehen reichte. Der große und schmächtige Alte stand allein in einem runden Raum, der sehr weit entfernt von Duncans Aufenthaltsort war. Außer ihm befand sich einzig das blasenartige Gebilde in dem Raum, durch das man von oben auf das kleine Zimmer blicken konnte, worin Duncan schlief.

Das Gesicht des Mannes zeigte deutliche Gedankenfalten. Mit Daumen und Zeigefinger an seinem Kinn grübelte er angestrengt über etwas nach. Er sah durch die Kugel zu, wie die Sekretärin ins Zimmer ging, mit Duncan sprach und wieder verschwand. Es herrschte eine Totenstille in dem dunklen Raum, da die Kugel keinen Ton übertrug. Der Mann stand wie zugefroren vor dem wiedergegebenen Bild und wandte seinen Blick nicht einen Moment davon ab.

Mit einem Mal erklang ein Geräusch, das in dem leeren Raum laut widerhallte. Unerwartet und auf unbeschreibliche Weise öffnete sich die Wand hinter dem Alten und ein jüngerer Mann betrat den Raum. Der Dunkelhaarige lief schnellen Schritts auf den reglosen Alten zu, wobei sein bläuliches Gewand hinter ihm herumwedelte. Die Öffnung schloss sich von selbst, als der Ankömmling sich neben den Alten stellte und ebenfalls zur Kugel blickte. Dabei hinterließ der Spalt kein Anzeichen dafür, dass dort ein Eingang gewesen war, und eine rundum makellose, glatte Wand blieb zurück.

Mit einer unruhigen, tiefen Stimme meinte der Alte: „Du musst auf der Stelle zurückkehren, Droy. Dein Sohn ist in einer äußerst brenzligen Lage und braucht deine Hilfe. Dabei gestikulierte er mit seiner Hand auf die kranke Person, welche sich in der Kugel von einer Seite zur anderen wand.

„Ich verstehe“, sagte Droy, die Stirn in Falten gelegt. „Ich muss dich deswegen bitten, Dine zu kontaktieren, wenn ich auf meiner Reise bin. Vielleicht erkennt sie es selber, aber gib ihr dennoch Bescheid, dass sie ihm so schnell wie möglich helfen muss. Meine Reise wird höchstwahrscheinlich zu lange dauern.“ Sein Hoffnung suchender Blick wanderte von der Kugel zu dem Alten. „Der Antus kann ihn heilen, nicht wahr?“

Der Alte sah nun auch ihn an. „Wenn etwas das kann, dann der Antus, aber er braucht ihn schleunigst.“

In Gedanken versinkend meinte Droy: „Ja!“ Nach einer langen Pause sprach er weiter. „Informiere also Dine darüber. Danach würde ich dich bitten, herauszufinden, wer das getan haben könnte. Eigentlich gibt es nur einen, der in der Lage sein könnte, uns aufzuspüren. Vielleicht hast du Erfolg und erfährst etwas Genaueres. Halte mich bitte auf dem Laufenden!“

„Mach dir darüber keine Sorgen. Im Moment zählt das Leben deines Sohnes. Ich werde mich um alles Weitere kümmern. Jetzt geh, er braucht dich.“

Droy suchte in den Augen des Alten nach Zuversicht. Nach einem Zuzwinkern des Grauhaarigen löste er sich in Luft auf, was der Zurückgebliebene nicht im geringsten für fragwürdig hielt. Dieser nahm sich erneut der Kugel an, in der Duncan ruhig liegend zu sehen war.

Er hob seine Hand und fuhr in der Luft damit über die Oberfläche der Kugel, wobei er etwas flüsterte. Das Bild verschwamm und formte sich neu. Ein qualitativ besseres, farbenfroheres Bild von einer Frau, die vor einem Lenkrad saß, erschien stattdessen.

„Hallo Vater“, sagte die braunhaarige Frau hektisch und unüberrascht. Sie konzentrierte sich auf den Verkehr auf der belebten Straße, sah aber kurz in die Blase, die sich vor ihr aufgetan hatte. Darin erkannte sie den Raum, in dem der Alte sich befand.

„Dine, dein Mann schickt mich. Er ist auf den Weg zu euch, aber er wird es vielleicht nicht rechtzeitig schaffen.“

„Was willst du mir damit sagen? Weißt du, was mit Duncan los ist?“ Sie war aufgebracht.

„Es tut mir leid, dir das sagen zu müssen, aber ich befürchte Duncan ist in ernster Gefahr.“

„Was weißt du? Wie schlimm ist es?“

„Ich vermute eine Vergiftung. Aber das muss ich noch bestätigen lassen.“

„Was kann ich tun? Wir müssen ihm doch irgendwie helfen können. Er ist mein Sohn, bitte sag mir, dass es etwas gibt!“ Sie konnte von Glück reden, dass sie durch die sich anbahnende Hysterie nicht die Kontrolle über das Fahrzeug verlor.

„Es gibt noch Hoffnung“, beruhigte er sie, woraufhin sie erleichtert tief einatmete. „Er braucht den Antus. Nur der kann ihm jetzt noch helfen. Es ist aber notwendig, dass er ihn in Kürze zu sich nimmt, oder es wird zu spät sein. Dine, kannst du ihn zusammenstellen?“

„Ich kann alles, wenn es um mein Kind geht. Die Zutaten hab ich noch im Kopf, das krieg ich hin.“

„Gut, er muss ihn spätestens in 4 Stunden zu sich genommen haben, sonst…“ Beide schwiegen für einen Moment. „Beeil dich!“

Dine nickte konzentriert beim Fahren.

Ihr Vater ließ Duncan auf seinem Bild erscheinen. Er lag in Schweiß gebadet auf der Liege. „Sie werden es schaffen!“, flüsterte der Alte.

 

3

 

Sehnsüchtig erwartete Frau Rieke die Mutter des Jungen. Ihr war sehr unwohl dabei, nur dazusitzen und zu warten. Was auch immer Duncan hatte, es wurde von Minute zu Minute schlimmer. Seine Qualen waren deutlich vernehmbar. Er tat ihr sehr leid.

Es klopfte jemand an der Tür, doch es war nur ein Lehrer, der hineinkam. Die Schüler befanden sich auf den Gängen, um ihre Klassenräume für die zweite Stunde zu wechseln. Sie konnte nicht arbeiten, geschweige denn sich irgendwie konzentrieren. Ihr Gefühl sagte ihr, dass es ernster war, als sie annahm. Sie ging abermals zu ihm und fragte, ob er etwas wolle. Er schüttelte den Kopf, wo seine Hände das tränenüberströmte Gesicht vor ihren Blicken verdeckten. Es klingelte zum Unterricht.

„Duncan!“, rief eine Person hinter ihr, die in den Raum gestürmt kam. „Oh Duncan, wie geht es dir?“ Die rhetorische Frage wurde erst gar nicht beantwortet.

„Sind Sie Frau Reimer?“, wollte sich die Sekretärin ihrer Erleichterung vergewissern.

„Mut…ti“, brachte Duncan schwach heraus.

„Komm Süßer, wir gehen. Kannst du aufstehen?“ Sie half ihm hoch, wobei seine Wärme sie erschreckte. „Du glühst ja!“

„Er hat mittlerweile 40 Grad Fieber“, erklärte Frau Rieke mitfühlend.

Er bekam plötzlich einen weiteren Anfall, was ihn rücklings in die Liege warf. Die beiden Frauen lehnten sich erschrocken über ihn. „Duncan, was ist?“

„Es sind seine Bauchschmerzen. Er bekommt diese Anfälle immer häufiger“, berichtete Frau Rieke.

„Wir müssen es nur bis zum Auto schaffen“, meinte Dine verzweifelt.

Duncan fing sich nun wieder und stand auf. Es war schwindelerregend, aber da musste er durch. Halb betäubt machte er sich mit seiner Mutter auf den Weg, nachdem diese sich bei der Sekretärin bedankt hatte. Sie führte ihn durch den verlassenen Gang, da er nur Konturen wahrnahm und geistig nicht in der Lage war, gerade zu laufen. Sie kamen nur langsam voran. Mit Schmerzen verbunden kämpfte er für jeden Schritt, während Dine seinen Rucksack trug und ihn unterstütze.

Sie kamen bis zum Ausgang, als Duncan ein Anfall plagte und ihn durch die natürliche Beugung zu Boden zog. Dine wurde hysterisch, da sie ihm nicht helfen konnte. Erst nach einer Weile konnte er weiterlaufen. Im Freien konnte sie den auf dem Gelände geparkten Peugeot sehen. Das kurze Stück brachten sie verhältnismäßig schnell hinter sich.

Dine öffnete die Beifahrertür und wollte Duncan beim Einsteigen helfen, als Duncan sich reflexartig zusammenkrümmte, die Hände vor den Bauch schlug und als Folge mit dem Kopf gegen die Tür stieß. Das Brummen des Schädels lenkte ihn wenigstens von den Schmerzen in der Bauchgegend ab, so dass er sich in den Sitz fallen lassen konnte. Normalerweise hätte er jetzt geflucht, doch durch seinen Zustand war er nicht einmal dazu fähig.

Der Motor startete und sie fuhren los. Duncan war komplett fertig. Seine Finger reichten nicht mehr, um all seine Beschwerden aufzuzählen. Er konnte nicht mal mehr darüber nachdenken, was ihm weh tat. Sein Gehirn war dabei, abzuschalten, was er nur begrüßte. Er dachte daran, dass sie zu einem Arzt fuhren und dieser ihm vielleicht helfen konnte. Es graute ihm jedoch davor, ewig im Wartezimmer warten zu müssen.

Bei seiner Mutter fühlte er sich zumindest geborgen, weswegen er die Augen schloss und sich gehen ließ. Die Bewegungen des Autos öffneten ihm den Weg zum Reich der Träume, wo er erneut Zuflucht fand. Er vergaß alle Empfindungen für eine Weile.

Er träumte von einer mit Menschen gefüllten Stadt. Ihre Kleider waren ungewöhnlich, denn so etwas hatte er noch nie gesehen. Er stand neben einem Gebäude, oder vielmehr an einem Schnittpunkt von zwei Gebäuden. Sie waren aalglatt und hoch. Er sah weder Fenster noch Türen. Was ihn aber am meisten wunderte, war das Material, aus dem das Objekt gefertigt war. Es gab nach seinem Wissensstand keinen so reinen, glatten und nahtlos aneinander fügbaren Rohstoff wie diesen. Außerdem war die schimmernde, leicht blau-silberne Farbe umwerfend. Als er sich umsah, bemerkte er, dass die Bauwerke in unendliche Ferne verliefen. Noch berauschender waren jedoch die Häuser zwischen diesen Giganten. Sie waren…

„Duncan. Duncan! Komm, steig aus. Wir sind da.“

Er erwachte aus seinem Schlaf und fühlte die geballte Last auf seinen Körper einströmen. Dieses plötzliche Wiederkehren des Schmerzes war grauenvoll. Er stieg dennoch aus und erkannte, dass sie zu Hause waren. Es verwirrte ihn, doch er konnte keine Fragen stellen. Er nahm es, wie es war und folgte seiner Mutter ins Haus. Seine Gedanken waren undurchschaubar geworden und machten selbst für ihn keinen Sinn mehr.

Auf wundersame Weise betraten sie das Haus durch den Hintereingang ohne einen Zwischenfall. Dine zog ihm die Schuhe aus und begleitete ihn ins Wohnzimmer. Auf der großen Couch legte er sich hin und verfiel sofort wieder in einen dösenden Zustand.

Dine eilte hektisch in die Küche, die sich gegenüber vom Wohnzimmer befand. Dort ließ sie sich auf die Knie fallen und werkelte an der Unterseite der Einbauküche herum, die auf Stützen stand. Mit ein paar geübten Handgriffen legte sie den Holraum unter den Schränken frei und fand dort ihre geheimen Gegenstände, von denen sie einige für ihren Plan benötigte. Sie holte Flaschen mit abnormen Flüssigkeiten, sowie Behälter und andere Materialien hervor, die sie auf der Arbeitsplatte neben dem Herd platzierte. Als nächstes erhitzte sie Milch in einem sehr alten Topf, woraufhin sie mehrere Flaschen öffnete und bestimmte Mengen von deren Inhalt dazugab.

Während dieses Gemisch brodelte, raspelte sie Wurzeln und trennte Teile von einem orange-roten Stein. Sie arbeitete hastig, aber konzentriert. Dennoch schnitt sie sich mit einem der Messer beim Zerschneiden von zahlreichen Kräutern. Sie fügte außerdem kleine Schuppen aus einem Glas in den Topf, der mittlerweile eine grüne Suppe beinhaltete.

Aus dem Wohnzimmer vernahm sie mit Schrecken einen lauten Aufschrei, gefolgt von einem leisen Wimmern. Es brach ihr das Herz, ihren Sohn zu ignorieren, jedoch konnte ihm nur ihre korrekte Arbeit helfen. Noch schneller vollführte sie den Rest der Herstellung des Antus’.

Mehrere Zutaten, die ein Koch als unidentifizierbar einstufen würde, folgten den Schuppen und kochten in der Brühe. Es dauerte noch zwanzig Minuten, bis sie nachdenklich den Herd ausschaltete. Angestrengt überlegte sie, ob noch etwas fehlte, doch es fiel ihr nichts ein. Durch ein Sieb goss sie den Inhalt, so dass feste Reste, wie die Steinkrümel, nicht verschluckt werden konnten. Aufgrund ihres Zitterns verschüttete sie einiges davon. Dies war sehr gefährlich, da nur kleine Störungen oder Fehler bei der Handhabung die Wirkung des Trankes aufheben konnten. Mit einer gleichmäßigen Atmungstechnik gelang es ihr, den Rest ohne Komplikationen durch das Sieb zu geben. Von der entstandenen Soße nahm sie einen Becher voll mit sich in die Stube.

Duncan sah alles andere als gut aus. Sein schmerzverzerrtes Gesicht war rot angelaufen und der Schweiß tropfte von der Couch auf den Fußboden. Seine Arme umklammerten seinen Bauch und die Beine waren angezogen. Dine ließ sich neben ihn fallen und versuchte mit ihm zu sprechen: „Hier Duncan, trink das!“

Er hörte sie erst beim zweiten Mal und richtete sich so gut es ging auf. Mit Dines Hilfe führte er den Becher zu seinen Lippen, ohne erkennen zu können, was sich darin befand. Als er den ersten Schluck nahm, spuckte er es wieder zurück. Er roch auf einmal einen widerlichen Duft, der ihn beinahe erbrechen ließ.

„Du musst das trinken, Duncan. Vertrau mir.“

Unter anderen Umständen hätte er mit ihr diskutiert, aber in seiner Situation hätte man mit ihm alles machen können. Er schenkte ihr sein Vertrauen und würgte das Gebräu in einem Zug herunter. Sofort begann es in seiner Magengegend zu brennen. Jeden Kubikzentimeter, den der Antus in seinem Körper berührte, spürte er wie eine Verbrennung. Er konnte nicht glauben, das seine Mutter ihm das gegeben hatte. Die Tortur veranlasste ihn zu schreien und sich hin und her zu wälzen. Die Wirkung verteilte sich durch seine Adern in seinem ganzen Körper, so dass er in eine Art Ekstase verfiel. Das Brennen hörte auf und Taubheit durchzog ihn. So musste es sich anfühlen, wenn man auf Crystal war.  

Dine wusste nicht, was in Duncan vorging. Sie flehte zu Gott, obwohl sie alles andere als gläubig war, dass er ihm beistehe. Das wilde Herumfuchteln ihres Sohnes hatte aufgehört und nun lag er reglos da, die Augen geschlossen. Sie erinnerte sich nicht mehr daran, welche Anzeichen der richtige Antus aufwies.

„Was war das?“, fragte Duncan plötzlich. Er öffnete langsam die Augen, konnte sich aber nicht anderweitig bewegen.

Dine heulte vor Freude auf. Sie wischte sich dir Tränen aus dem Gesicht und betrachtete lächelnd ihren Sohn. „Wie geht es dir?“

„Besser“, meinte er schwach. „Es… tut nicht mehr so weh.“

„Du brauchst jetzt Ruhe. Warte noch zehn Minuten, dann bring ich dich hoch in dein Bett. Währenddessen mach ich dir eine leckere Suppe, dein Körper braucht Energie. Wie ich dich kenne, hast du heute noch nichts gegessen.“

Duncan lauschte einfach nur ihrer Stimme. Es tat gut. Er war unglaublich erleichtert, dass die Schmerzen verschwunden waren. Seine Müdigkeit und Trägheit waren allerdings geblieben. Die Frage nach der seltsamen Heilung konnte er sich für später aufheben. Im Moment wirkte die Müdigkeit wie ein Gedankenvernichter. Alles war egal, die Nummer eins im Leben war nun der Schlaf.

 


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