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Science-Fiction Lovestory

 

Die Nacht war überraschend früh hereingebrochen. Andy starrte begeistert den Vollmond an, der nun die einzige Lichtquelle auf seinem Spaziergang mit seinem Hund war. Es wurde offenbar Herbst, da die Sonne zu dieser Zeit sonst noch scheinen müsste. Andy, der sich als heranwachsenden Jungen in seinen besten Jahren beschreiben würde, obwohl die meisten anderen ihn eher als jungen Mann bezeichnen, lief zwischen den Häusern der Großstadt und deren angrenzenden Wiesen entlang, wie er es am Abend oft zu tun pflegte. Sein treuer Schäferhund dackelte gemütlich am Rande des Weges vorbei und beschnupperte den nächstbesten Baum, wo ein Artgenosse wohl hausiert hatte.

Als sie gerade auf einem Trampelpfad inmitten einer großen Wiese liefen, verschwand mit einem Mal alles Licht um sie herum. Wie ein kurzes Flackern einer Taschenlampe, und schon umgab sie wieder der helle Schein des Mondes. Verwundert sah Andy nach oben, doch der Himmel war sternenklar und keine einzige Wolke und auch nichts Anderes war zu erkennen, das den riesigen Mond hätte verdecken können. Anstatt sich seiner Fantasie hinzugeben und sich die irrsinnigsten Geschichten für dieses Phänomen auszumalen, gab er sich damit zufrieden, seinem Freund später davon erzählen zu wollen und schlug die Richtung zu seinem Zuhause ein. Dort würden sie sich zusammen wundern können.

 

Ein lautes, ohrenbetäubendes Bellen riss Andy diese Nacht aus dem Schlaf und ließ ihn hochfahren. Bei dem Versuch, herauszufinden, was seinen sonst so freundlichen, ruhigen und zahmen Hund dazu brachte, wie wild am Fenster auf und ab zu rennen und höllisch laut zu bellen, fiel sein Blick auf das Fenster, wo der Mond unnatürlich hell hindurch schien.

„Hey, spinnst du?“, brüllte er, doch es brachte nichts. Der Rüde weckte wahrscheinlich die ganze Nachbarschaft. „Hörst du jetzt auf!“

Dann verstummte sein Hund, zog den Schwanz ein und verschwand blitzschnell aus dem Zimmer. Durch die offene Tür neben dem Bett sah Andy, dass er sich in die dunkelste Ecke unter der Haustür zurückgezogen hatte und ihn mit merkwürdigen, bettelnden Augen fixierte. Dieses Verhalten war höchst ungewöhnlich. Andy war nun vollends wach und bekam es leicht mit der Angst zu tun. Was konnte sein Hund wahrnehmen, das ihn so verschreckte?

Sich von dem winselnden Gefährten abwendend, kam auch ihm etwas seltsam vor. Das Mondlicht schien nun noch heller, aber wie war das möglich? Und es intensivierte sich zusätzlich. Wie gebannt starrte er auf das Fenster, zog sich in die Ecke seines Bettes zurück und beobachtete das illuminierende Licht. Ihm war, als würde die Quelle des grellen Lichts schon die ganze Zeit näher kommen und mit einem Mal rasant an Geschwindigkeit zunehmen. Es wurde in seinem Zimmer unerträglich hell, wodurch seine Augen brannten, trotzdem er sie geschlossen hatte. Ein Summen bohrte sich in seine Ohren und im nächsten Moment verlor er all seine Sinne. Wie ausgeschaltet, spürte er nichts mehr, doch vernahm er irgendwo tief in seinem Unterbewusstsein eine Bewegung. Angsterfüllt und allein, erlebte er einen grausamen Horror in den nächsten Minuten, da weder Augen, Ohren, Nase noch seine Haut funktionierten.

 

Allmählich konnte er den harten, kalten Steinboden, auf dem er lag, wahrnehmen. Er wusste nicht, wo er war und vor lauter Angst traute er sich nicht, die Augen zu öffnen, welche mitsamt seinen anderen Sinnen nun wieder seinem Befehl unterlagen.

Ein dumpfer Schlag auf Metall ließ ihn hochschrecken. Er befand sich, wie er jetzt sah, in einem 2x3 Meter großen Raum, der abgesehen von ihm völlig leer war. Es gab keine Fenster, aber kleine, runde, schwarze Glasscheiben überall an den Wänden verteilt. Es klopfte erneut und Andys Blick schweifte zur Tür. Erwartete jemand, dass er ihn hereinbat? Er fürchtete sich vor dem, der hinter der Tür wartete, schließlich wurde er entführt; andererseits nahm ihm dieses höfliche Verhalten doch irgendwie die Angst und erweckte seine Neugier. Mit einem kurzen, fast verschlucktem „Ja“ bat er den mysteriösen Fremden schließlich herein. Die Klinke wurde sanft hinunter gedrückt und der langsam größer werdende Türspalt befreite den Blick auf einen stark beleuchteten Flur. Dann kam eine Gestalt in Sicht. Trotzdem die Frau ihre Hände fest an die Seiten gepresst hielt, öffnete sich die Tür weiter. Die um die 30-Jährige mit ihren langen, gelockten braunen Haaren lächelte freundlich, doch irgendetwas verwirrte Andy bei ihrem Antlitz. Als sie in das Zimmer trat, verstand er auch warum. Sie bewegte ihre Füße zwar, doch schwebten diese zwanzig Zentimeter über dem Boden und darunter fuhr ein handbreiter Kreis aus gewölbtem Glas. Sie war wohl nicht real, doch sah sie täuschend echt aus, allerdings bestätigte das gelegentliche Flackern ihrer Gestalt seine Vermutung.

„Guten Tag. Ich bin Nadine“, meinte die Frau mit einer bezaubernden, echt klingenden Stimme und verschloss vornehm ihre Hände vor sich.

„Was bist du?" Andy wich vorsichtig nach hinten und presste seinen Rücken an die Wand, weiterhin auf dem Boden sitzend.

„Ich bin so etwas wie ein Hologramm. Um Ihnen nach dieser ungemütlichen Erfahrung ein wenig Beistand zu leisten.“ Ihr Lächeln wurde breiter.

Andy verstand jedoch nicht mehr, wo oben und wo unten war. Unzählige Fragen durchströmten seinen Kopf, doch konnte er sich nicht entscheiden, welche er zuerst stellen sollte. Gelähmt starrte er Nadine an, wie sie vor ihm stand oder eher schwebte und ihn angrinste.

Bevor er sich fangen konnte, übernahm sie wieder das Wort: „Hab keine Angst. Unser Herr hat Sie hier hergeholt, um Ihnen ein Angebot zu machen und ich soll Ihnen ausrichten, dass ihm die Art und Weise unseres Vorgehens wie immer Leid tut. Er entschuldigt sich für die rohe Gewalt, doch es ist ihm nicht anders möglich gewesen, sie alle hier zu versammeln.“

„Was heißt denn wir alle? Wo sind die anderen? Und wo bin ich überhaupt?“ Er war nun verärgert und scheute sich nicht mehr.

„Nun, ich sprach von Ihnen, der Crew dieses Raumgleiters, auf dem wir uns momentan befinden. Die anderen sind in ihren Quartieren.“

„Ein Raumgleiter? Was ist das denn genau? Hört sich verdammt nach Star Wars an. Und wozu bin ich eigentlich hier?“

„Ich kann Ihnen gerne ein wenig von unserem Raumgleiter auf dem Weg zeigen, wenn Sie das wünschen. Es dürfte für Sie mit einem Flugzeug vergleichbar sein. Was Ihren Aufenthaltsgrund betrifft, so sagte ich bereits, dass Ihnen ein Angebot gemacht wird.“

Wenn er sich auf einem Flugzeug befand, dann schienen seine Sinne noch leicht benommen, denn er spürte keine Bewegungen oder röhrende Motoren wie üblich.

„Und wenn ich dieses Angebot ablehne, dann war’s das für mich oder wie?“ Seine Stirn lag in Falten.

„Ich glaube kaum, dass Sie das betreffende Angebot abschlagen können, aber gesetzt dem Fall, dann werden sie unversehrt in Ihr Heim gebracht, das kann ich Ihnen versichern.“ Ihr Lächeln war verschwunden. Offenbar mochte sie es nicht, wenn man die Ehrbarkeit ihrer Leute anzweifelte. Andy stimmte das ein wenig zuversichtlicher, obwohl die Entführung leichte Zweifel zurückbleiben ließ.

Nadine führte ihn hinaus aus dem Raum, der laut ihr als Teleporter diente, und raste eine Reihe von Gängen entlang, so dass Andy Schwierigkeiten hatte, mitzuhalten. Vorbei an Küche, Schlafräumen, Animationsstation und Krankenstation erreichten sie das Ende eines Ganges, der sich als Sackgasse entpuppte. Andy konnte sich immer weniger vorstellen, in irgendetwas zu sein, dass fliegen konnte, da es alles so riesig schien.

Das Gerät unter Nadines Füßen fuhr in die rechte Ecke der Sackgasse und scannte ein schwarzes Schild knapp über dem Fußboden. Daraufhin wurde ein Spalt sichtbar, der sich vergrößerte, bis dahinter ein weitläufiger Raum erkennbar war.

„Unser Herr wird in Kürze zu dir sprechen“, erklärte Nadine mit einer einladenden Geste, die ihm bedeutete einzutreten. „Es hat mich gefreut, Ihre Bekanntschaft gemacht zu haben. Es würde mich freuen, Sie in Zukunft näher kennen zu lernen.“

Kaum war er ihrer Bitte nachgekommen, da schloss sich die Tür hinter ihm. Er war nun allein in dem Raum.

„Guten Tag, Andy!“

Er drehte sich erschrocken um. „Wer ist da?“ Er konnte noch immer niemand anderen erkennen. Ein paar Bildschirme schmückten die Wände und vor einem besonders großen stand ein ovaler Tisch mit ein dutzend Stühlen. Daneben fiel sein Blick auf eine Treppe, die offenbar hinunter führte. Sich ihr nähernd, erfasste er etwas Unglaubliches, das ihm die Luft raubte. Die ihm gegenüberliegende Glaswand stellte ein umwerfendes Panorama zur Schau, auf dem ein sternenübersähter Himmel den blauen Planeten umrahmte. Die Erde leuchtete imposant kraftvoll durch die  meterlange Glasscheibe.

„Beeindruckend, nicht?“

Die Stimme kam von der unteren Plattform am Fuße der Treppe, doch als Andy diese hinabstieg sah er auch dort keine Menschenseele. Dann, unten angelangt, bemerkte er neben der Treppe in der Wand zwischen oberer und unterer Etage ein prächtiges, dreidimensionales Bild, das einen violetten Kern aus Fasern und Schnüren zeigte, um den verschiedenartige Röhren wuselten, wie die Strahlen eines Sterns. Die zwei ihm am nächsten liegenden, adergleichen Enden begannen im Takt zu schwingen, als die mysteriöse Stimme erneut erklang.

„Bitte erschrecke nicht. Ich mag nicht so aussehen, wie ihr Menschen, aber deswegen droht von mir keine Gefahr.“ Andy nahm ein Lächeln war, doch sah er keines. „Eure Vorstellungen von Außerirdischen, wie ihr sie nennt, entsprechen ganz und gar nicht der Wirklichkeit, muss ich leider anmerken.“

Verwirrter, als er nach den Geschehnissen für möglich gehalten hatte, beobachtete er das seltsame Ding. „Was bist du? Wieder so eine Imitation wie Nadine?“

„Nein, keinesfalls. Ich bin Tartock, wie man es mit deiner Zunge ausdrücken würde. Und was du hier siehst, ist eine Abbildung von mir. Etwa so ähnlich wie bei einem „Webcam-Chat“.“ Er betonte das letzte Wort, als ob er wüsste, dass es ein Fremdwort in Andys Sprache war. Er schien einiges über das Menschendasein zu wissen. „Ich stamme aus einer sehr weit entfernten Galaxie und gehöre zu den ältesten Lebewesen des Universums.“

Andy konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Es hörte sich zu lächerlich an, und doch musterte er nachdenklich den Panoramablick auf den Planeten. „Dann sind wir hier also tatsächlich im All, und dieses Bild ist echt?“

Er erwartete eigentlich eine Bestätigung, dass seine Fantasie mit ihm durchgeht, aber er wurde enttäuscht. „Es mag für dich schwer vorstellbar sein, aber es gibt extraterrestrisches Leben und davon nicht zu knapp. Allerdings sind wir seit Jahrmillionen die einzige Spezies, die fähig ist, mit anderen Welten Kontakt aufzunehmen. Wir haben uns eigentlich entschieden, strikte Beobachter zu bleiben und lassen den Dingen ihren Lauf, allerdings gibt es Entwicklung, die ein Eingreifen erfordern.“

Die Bewegungen der zwei Arme verstummten wieder und Andy vernahm ein trauriges, seufzendes Gesicht, auch wenn die Gestalt sich nicht im Geringsten verändert hatte und kein Laut an seine Ohren drang.

„Und aus dem Grund bin ich hier? Was kann ich dir denn bieten? Gehen Sie lieber zur amerikanischen Armee oder wenden Sie sich an die Vereinten Nationen.“

Ein verzücktes Lachen war zu hören, wobei die Arme stark vibrierten. „Ach, die Denkweise von euch Menschen ist herrlich. Nein, weder die VN noch irgendeine Armee kann uns bei der bevorstehenden Aufgabe helfen.“

„Dann bin ich wohl auch nicht von nützen“, warf er ein. „Ich mag zwar ein gutes Abi haben, aber was hilft das schon, wenn Außerirdische Probleme haben?“ Plötzlich traf ihn ein Schock. „Oder brauchen Sie Menschen als Nahrung?“

Erneut erklang das herzerquickende Lachen, wodurch ihm seine Idee sofort lächerlich vorkam. „Nein, obwohl ich darüber nochmal nachdenken könnte.“ Bei Andys aufgerissenen Augen fügte er hinzu: „Ich ernähre mich von Nährstoffen aus dem Wasser und nicht von Lebewesen!“

Andy entspannte sich. „Wie kommt es eigentlich, dass Sie meine Sprache sprechen und ich Sie verstehe?“

„Du hörst mich nicht wie deine Artverwandten. Ich telepathiere meine Gedanken in deinen Verstand, so dass du sie als deine gewohnte Sprache wahrnimmst. Komplizierte Sache. Nun aber zurück zu meinem Anliegen. Soweit wir wissen, hat sich ein Planet, nach plötzlichem, exponentiellem Zuwachs der Intelligenz der führenden Bewohner, das Ziel gesetzt, alle anderen Welten, als Konkurrenz betrachtet, auszulöschen. Die besagte Spezies zählte eigentlich eher zu den minderintelligenten im Vergleich zu anderen Welten. Trotzdem können sie ihren Planeten mittlerweile verlassen und andere Galaxien erreichen, was sie mit dem Ziel tun, alle anderen Lebewesen zu vernichten, um als alleinige Lebewesen das Universum für sich zu beanspruchen.“ Andy begann, etwas zu erwidern, doch die jetzt harsch gewordene Stimme brachte ihn zum Schweigen. „Das fehlgeleitete Volk ist eine Bedrohung für alle Welten, deshalb suche ich seit einiger Zeit die führenden Spezies auf, um eine Elite der stärksten Kräfte zu bilden. Diese Auserwählten sollen ihre verschiedenen Vorteile vereinen und damit den Zerstörern Einhalt gebieten und gleichzeitig den Grund für diese fragwürdige Entwicklung herausfinden.“

„Und ich soll Ihnen sagen, wer von uns am geeignetsten wäre?“, brach es aus ihm heraus. Es war für ihn die bisher logischste Erklärung. Er brauchte schließlich jemanden, der sich auskannte, auch wenn er wohl einen Fehlgriff für diese Aufgabe getätigt hatte.

„Du verstehst mich falsch. Nach einem Äquatorial-Nord-Südpolkatheten-Scan haben wir dich für den besten Repräsentanten deiner Rasse befunden. Du bist hier, um zu entscheiden, ob du dich dieser Aufgabe gewachsen fühlst und uns helfen willst.“

Andy wollte Schlucken, doch sein Mund war zu ausgetrocknet. „Ich würde ja gerne helfen, aber ich kann weder kämpfen, noch bin ich der intelligenteste Mensch. Sie finde unter den Milliarden sicher einen besseren als mich.“

„Der Scan war eindeutig. Du vereinst die größten menschlichen Eigenschaften in dir. Großartige Kämpfer und fantastische Intelligenz haben wir bereits in anderen Welten gesucht und gefunden. Die Menschen, wie alle anderen der Elite, haben sich mit ihrer Intelligenz qualifiziert, indem sie bewiesen haben, dass sie ihren Planeten verlassen können, auch wenn der Besuch anderer Galaxien noch in weiter Ferne liegt. Was euch speziell von den anderen unterscheidet und was für mich von größtem Wert ist, das ist die Fähigkeit zu lieben, Bündnisse mit anderen Individuen einzugehen und für Gerechtigkeit einzustehen.“

„Das würde die meisten Menschen aber ganz anders sehen. Vielmehr bringen wir uns gegenseitig um und benutzen andere für eigennützige Zwecke.“

„Keine Spezies ist vollkommen! Aber glaube mir, mehr als sonst irgendwo, konzentriert sich etwas wie die Liebe auf der Erde. Eure Prioritäten liegen zentriert im Zusammenhalt und der Opferbereitschaft. Selbst die artfremdesten Lebewesen finden bei den Menschen Geborgenheit und Schutz. Das kann man nirgendwo sonst beobachten.“

„Vielleicht bei Tierschützern und dergleichen, aber die Mehrzahl lebt für sich. Wenn Sie aber so jemanden brauchen, dann fragen Sie eventuell bei Greenpeace nach. Ich liebe zwar, aber ich bin kein Paradebeispiel. Ich hab sogar mal einen Vogel ohne Grund erschossen; das zeugt nicht gerade von Nächstenliebe.“ Andy sah bedrückt gen Boden. Die Erinnerungen an Dinge, die er getan hatte und die er bereute, schmerzten ihn.

„Weißt du, jeder macht Fehler, doch daraus zu lernen ist die Kunst. Dir tut es offenbar unendlich Leid, was du manchen Lebewesen antust, obwohl du sie weder kanntest, noch irgendeine Bindung zu ihnen hattest?“ Andy stimmte stumm zu. „Hast du nicht deinen Zukunftspläne durcheinander gewürfelt, um einem Hund ein zu Hause und einen Freund zu bieten?“ Wieder musste Andy zustimmen.

„Aber da war leider auch viel Eigennutz dabei. Ich bin kein guter Besitzer.“ Betrübt sah er der Wahrheit ins Gesicht.

„Oh doch, das bist du. Du bereust deine Fehler und versuchst, sie besser zu machen. Und dein Hund dankt es dir mit seiner Treue und Zuneigung. Dein größter Erfolg ist wohl aber die Liebe in deiner Beziehung. Egal wie kompliziert es auch wurde, in jeder Situation hieltest du zu deinem Freund und hast dich trotz eigener Probleme um ihn gekümmert und ihm deine Liebe…“

„Woher wissen Sie das alles?“, unterbrach er ihn leicht erregt. Dieses Wesen schien ihn in und auswendig zu kennen. Die Beziehung zu Lenny war in der Tat schwierig, schließlich war er jünger, hatte ein sehr strenges Elternhaus, erlebte stetig Ungerechtigkeiten und kam mit der Rolle als Freund erst nach einiger Zeit vollständig klar, weil es bei ihm selbst noch so viele Ungereimtheiten und Angewohnheiten gab.

„Ich hoffe, es war nicht zu unhöflich von mir, aber nachdem du hier angekommen bist, habe ich während deiner Bewusstlosigkeit dein Gedächtnis durchsucht, um mir selbst ein Bild von deiner Person zu machen; das Ergebnis des Scans konnte ich übrigens ohne Weiteres bestätigen. Du bist der beste und gütigste, den wir auf unsere Reise mitnehmen können. Ich bin sogar äußerst glücklich, dass gerade zu diesem schweren Zeitpunkt jemand wie du unter den Menschen weilt. Es kam nicht oft vor, dass jemand mit diesen konzentrierten menschlichen Eigenschaften geboren wurde. Zumal bei dir ein unglaublich hohes Maß an weitreichender Akzeptanz vorhanden ist. Der Weg durch dein Coming-Out hat dich für viel mehr geöffnet als nur für eine ungewöhnliche Beziehung.“

Andy beließ es dabei, dass Tartock sein Privatestes erkundet hatte, was wohl nicht wenig damit zu tun hatte, dass er bei ihm gut ankam und von ihm so hoch gelobt wurde. „Angenommen, ich wär geeignet für den Job, was kann man mit Gefühlen und Nächstenliebe gegen eine wildgewordene Spezies tun?“

„Oh, eine ganze Menge. Neben den anderen Befähigungen zählt die menschliche Liebe zu den kraftvollsten Waffen, auch wenn sie nicht so offensichtlich ist, wie Muskelkraft. Deine Rolle in unserem Team wird sich noch früh genug offenbaren, vorausgesetzt, du lässt uns nicht im Stich.“ Ein flehender Ton lag in der Stimme, der Andys Knie erweichen ließ, aber auch der glasige Hundeblick, den Tartock ihm schickte, machte es ihm schwer.

Er grübelte und nahm erst nach einiger Zeit das Wort wieder auf. „Diese Mission ist sicherlich gefährlich. Höfliche Verhandlungen werdet ihr wohl nicht machen, oder?“

„Ich fürchte nicht. Ein gesundes Maß an Mut gehört zu dieser Aufgabe, aber davon habe ich bei dir genügend gesehen.“

Andy musste erst über diese Worte nachdenken, bis er ihnen zustimmen konnte. „Und wie darf ich mir das ganze vorstellen? Ich meine, es dürfte einige Zeit dauern, durch das Universum…“ Er stockte mitten im Satz, weil es so unrealistisch und lächerlich klang, was er zu sagen vorhatte. „… durch das Universum zu fliegen und auf Verbrecherjagd zu gehen.“

„Solltest du dich uns anschließen, wird es dein Leben natürlich verändern. Die Mission könnte einige Jahre dauern oder gar tödlich scheitern, was allerdings sowieso den Untergang aller Welten mit sich bringen würde.“, seufzte Tartock.

„Jahre!?“, warf Andy ein, doch mehr zu sich als zu dem Wesen. „Aber dann muss ich ja alles aufgeben. Sollte ich zurückkommen, werde ich nicht mal eine Ausbildung haben. Und was ist mit meinen Freunden, meiner Familie, mein Hund und … und Lenny!“ Bei dem letzten Gedanken schnürte sich ihm der Hals zu. Der bloße Gedanke Lenny zu verlieren löste unsagbare Traurigkeit in ihm aus und war unerträglich.

„Es ist eine harte Entscheidung, das ist mir bewusst. Keine Wunder, Abenteuer oder Erlebnisse können das, was du hast, ersetzen. Aber um deine Zukunft brauchst du dir keine Gedanken zu machen. Sollte die Aufgabe gelingen, dann plane ich eine geheime Allianz unter den Eliteplaneten und die Station auf der Erde würdest du fortan leiten. Geld gibt es in Hülle und Fülle, denn nicht weit von meinem Standort gibt es einen Planeten, der vollständig aus Metallen wie Gold und Silber in eurer Sprache besteht. Damit kann man fast überall einiges erreichen. Auch wird deine Familie während deiner Abwesenheit unterstützt. Sie werden ohne Zögern deinen Hund aufnehmen und mit unserer Hilfe eine tägliche Betreuung finden. Deine Wohnung wird selbstverständlich ebenfalls von uns bezahlt, falls du dorthin zurück möchtest, wenn alles erfolgreich verläuft.“

Das alles klang sehr verlockend, doch konnte Tartock für das wichtigste in seinem Leben nichts arrangieren. „Und Lenny? Was wird aus ihm? Ich kann ihn nicht einfach zurücklassen.“

„Nun, es wird schwer. Diese Entscheidung liegt bei dir, aber bedenke, dass dein Opfer für etwas Gewaltiges wäre.“

„Wenn ich meinen Freund dafür aufgeben muss, dann kann ich das nicht!“ Andy fühlte sich entschlossen. Sein Glück lag im Moment bei Lenny und das aufzugeben, war für ihn das Schrecklichste, was er sich vorstellen konnte.

Tartock seufzte unter den sich schüttelnden Armen. „Vielleicht besteht eine Chance, dass er auf dich wartet oder ihr euch nach der Aufgabe wiederfindet. Weißt du so genau, dass er der Richtige ist? Willst du dir diese Chance, etwas Unübertreffbares zu bewirken, entgehen lassen und feststellen müssen, dass er es nicht wert war?“

Andy wurde leicht mürrisch. „Natürlich ist er es wert. Jede Liebe, die so ein Maß erreicht hat, ist es in meinen Augen wert, in den Vordergrund gestellt zu werden. Jede Minute mit einer geliebten Person ist kostbar, auch wenn es nicht für immer hält.“ Tränen schossen ihm in die Augen, was bei ihm normalerweise ungewöhnlich war. „Hast du mich nicht deshalb ausgesucht, WEIL ich liebe? Und jetzt verlangst du von mir, dieses wunderbare Geschenk aufzugeben? Vielleicht solltest du dem Scanner ein kleines Kriterium hinzufügen. Singles only! Denn jeder Mensch, der das hat, was du suchst, wird eine Beziehung nicht aufgeben können.“

Tartock  nahm sich zum ersten Mal Zeit, bis er schließlich antwortete. „Wir brauchen jemanden, der wahrhaftig liebt, deswegen wird wohl kein „Single“, wie du es bezeichnest, für unsere Zwecke in Frage kommen. Der Aufgabe wäre dieser dann nicht gewachsen.“

„Du widersprichst dich selbst!“, riss Andy ihn aus seinen Gedanken. „Wenn ihr mich und Lenny entzweit, dann bin ich genauso alleinstehend. Womöglich sogar noch liebloser nach solch einer Trennung.“

„Ich muss zugeben, dass habe ich nicht bedacht. Als Angehöriger einer Spezies, die keine Bindungen eingeht und die nur durch Beobachtungen ihre Erfahrungen damit sammelt, fällt es mir schwer, mich in dich hineinzuversetzen. Umso wichtiger ist deine Anwesenheit bei der Mission.“

„Dann fragt Lenny, ob er auch mitkommt. Zusammen werden wir unschlagbar sein. Glücklich nutzen wir euch viel mehr und ich verspreche, dein Angebot anzunehmen, wenn er zusagt. Unsere Liebe wird wachsen und uns noch stärker machen, wenn wir dir damit wirklich so von Nutzen sind.“

„Aber ich nehme von jedem nur einen mit. Die andern könnten sich beschweren. Abgesehen natürlich von der Kollektivintelligenz. Allerdings hast du einen wunden Punkt in meinem Plan aufgedeckt. In der Tat wäre es eine Bereicherung, wenn ihr eure Zusammengehörigkeit noch weiter entfaltet.“ Er sprach mehr zu sich selbst, als mit Andy. „Ihr seid am Anfang eurer Liebe, da ist noch viel Potenzial versteckt und ein Zuwachs wäre von unschätzbarem Wert. Und ich konnte sehen, dass ihr wie zwei Seelenverwandte agiert, was euch auf die eine oder andere Art mit der Kollektivintelligenz vergleichbar macht. Zusammen formt ihr irgendwie ein Ganzes. Aber ob das eine Ausnahme akzeptabel macht? Kompliziert ist die menschliche Liebe tatsächlich.“

Andy bemerkte voller Hoffnung, dass Tartock seine Aufmerksamkeit wieder ihm zuwendete. „Bitte, lass ihn mitkommen!“

„Also gut. Ich gebe dir die Chance, zu beweisen, dass eure Liebe stark genug ist. Wenn du ihn überzeugen kannst, mitzukommen und Seite an Seite mit dir zu operieren, dann werde ich zwei Menschen in die Elite aufnehmen. Allerdings musst du mir vorher versprechen, auf jeden Fall zuzusagen, egal wie sich dein Freund entscheidet. Wir brauchen dich, ob mit oder ohne gebrochenem Herzen. Du würdest die Trennung überstehen und die Wunden würde heilen, bis du wieder zur Liebe fähig wärst.“

Andy war sich nicht sicher, ob er dieses Ultimatum akzeptieren sollte Der Gedanke, dass Lenny ablehnen, ihn im Stich lassen könnte, war herzzerreißend und ließ seinen Bauch brodeln. Die Wahrscheinlichkeit, dass er bei seiner Familie bleiben würde, auch wenn die ihm nicht immer gut tat, war beängstigend hoch. Lenny fiel es schwer, sich von etwas zu trennen, das wusste Andy. Ob seine Liebe stark genug war? Er hatte Zweifel, aber dann wiederrum, was würde sein, wenn er zusagte. Der Gedanke war umwerfend schön. Sie würden sich ein Leben aufbauen, zusammen unzählige Erlebnisse teilen und was am wichtigsten war, Tag und Nacht zusammen sein, das was sie sich schon immer gewünscht hatten.

„Okay, ich komme mit!“ Es sprudelte aus ihm heraus, bevor er ganz begriff, was er eben entschieden hatte. Er bereute es im selben Augenblick, doch es gab kein Zurück mehr. Er war ein Ehrenmann, oder –junge wie er es bezeichnen würde, und stand zu seinem Wort; schließlich fühlte er eh das Bedürfnis, mehr in dieser Sache zu erleben und etwas zu bewirken.

„Sehr gut.“ Tartock war merklich zufrieden. „Du hast einen Tag, um ihn von unserem Unterfangen zu überzeugen. Wir holen euch oder dich bei dir um Mitternacht ab. Und vergiss nicht, dich zu verabschieden.“

 

Nachdem die letzten Kleinigkeiten der Abreise geklärt waren, wurde Andy nach Hause gebracht. Die Art und Weise der Beförderung, jetzt wo er bei vollem Bewusstsein war, ließ ihn nicht mehr im Geringsten an der Glaubwürdigkeit der Angelegenheit zweifeln. Es war bereits Mittag und sein Hund musste dringend ausgeführt werden. Er hatte genug Zeit gehabt, sich nach dem nächtlichen Besuch zu erholen, aber dafür bekam Andy Kopfschmerzen vom Grübeln. Er musste umgehend Lenny anrufen, aber der war in der Schule, so dass Andy qualvolle Zeit mit Warten verschwendete und beunruhigt keinen klaren Gedanken fassen konnte. Aus diesem Grund schaffte er es auch nicht, die Abschiedsbriefe an seine Freunde zu schreiben. Tartock würde nur jemanden zu seinen Eltern schicken, die ihnen alles erklärten oder zumindest eine Ausrede für sein Verschwinden hatten, denn die Wahrheit war kaum annehmbar; zu seinen Freunden konnte er jedoch keinen senden.

 

Mit einem freudigen, langgezogenem „Hey“ begrüßte Lenny seinen Freund am Telefon.

„Na du, wie geht’s?“

„Gut, und dir?“

„Super“, log Andy mit einem unwohlen Gefühl. „Sag mal, könne wir uns nachher sehen?“

„Ich weiß nicht.“ Er musste erst nachfragen, das kannte Andy.

„Bitte, ich will dich unbedingt sehen.“

„Oh, du bist süß. Ich will dich auch sehen, aber ich glaub, dass sieht heute schlecht aus. Morgen kann ich aber bestimmt.“

„Es muss heute sein, bitte. Und wenn es nur für eine halbe Stunde oder so ist. Sag, dass du Joggen gehst.“

Lenny wurde misstrauisch. „Ist irgendwas?“

„Nein, ich will nur mit dir reden.“ Erschrocken kniff sich Andy auf die Lippe. Das war dumm formuliert. Es klang wie der berüchtigte Trennungssatz, doch das hatte er nicht beabsichtigt. Lenny war das allerdings auch aufgefallen. Er wurde still, womöglich aus Furcht. „Keine Sorge, ich will nicht Schluss machen, nur was mit dir besprechen“, fügte er rasch hinzu.

Ein erleichtertes Aufatmen war durch den Hörer zu hören. „Okay, ich schlag ein wenig Zeit raus. Ist wirklich alles in Ordnung?“

„Ja, mein Schatz. Natürlich. Ich liebe dich!“

Also fuhr Andy kurze Zeit später Lenny in den Kiez. Dabei überlegte er fieberhaft, wie er ihn überzeugen sollte. Die ganze Wahrheit würde er ihm nicht abkaufen, ohne das zu sehen, was er gesehen hatte. Und selbst dann, so wusste Andy, war es schwer, den eigenen Verstand nicht als verloren gegangen zu deklarieren.

Sie begrüßten sich inniglich als sie neben einem kleinen Wäldchen aufeinanderstießen. Auf Andys Geheiß setzten sie sich auf eine kleine Holzbank, während Andy Lennys Hand hielt, um Kraft für die bevorstehende Aufgabe zu sammeln.

„Weißt du“, begann er zögerlich, „heute Nacht ist etwas sehr Merkwürdiges passiert. Ich hab überraschend ein Angebot bekommen, für eine längere Reise, wo ich ein paar Leuten helfen soll.“ Lennys Miene wurde ernst. „Sie haben etwas sehr Wichtiges vor und sie bezahlen auch verdammt gut. Ich hab das Gefühl, dass ich ihnen unbedingt helfen muss, aber ohne dich will ich natürlich nicht weggehen. Ja, das klingt komisch, aber sie meinten, es wäre umso besser, wenn du mitkommen würdest.“ Andy wartete auf irgendein Zeichen, eine kleine Reaktion, ein Hinweis auf Lennys Gedanken.

Nach kurzer Stille dann: „Du willst mich auf den Arm nehmen?“

Andy hatte es befürchtet; er sah seine Hoffnungen schwinden. In der aufkommenden Hektik sah er die letzte Chance darin, ihm alles zu sagen: „Nein, leider nicht. Es geht morgen los und es könnte durchaus Jahre dauern. Es geht sehr weit weg und es gibt dann auch kein Zurück mehr. Vielleicht wird es auch etwas gefährlich, aber wir würden etwas Gutes bewirken. Wir wären jeden Tag und jede Nacht beisammen, sofern du das willst, und wegen der Schule brauchst du dir auch keine Gedanken machen. Wir können so viel Geld haben, wie wir wollen und wenn wir zurück sind, haben sie einen mega-gut bezahlten Job für uns. Das ist doch, was du immer wolltest. Viel Geld verdienen. Und wir würde es zusammen machen. Du könntest dir tausend Häuser leisten, nur du müsstest mir vertrauen und mitkommen. Ich würde dich sowas eigentlich nie fragen, weil wir ja nicht mal wissen, ob das mit uns hält, aber die meinten, wir wären sowas wie Seelenverwandt und das muss doch irgendetwas bedeuten, oder? Ich find es auch schwer, meinen Hund und alle zurückzulassen, aber es ist ja nicht für immer.“ Es war alles aus ihm so schnell heraus geschwappt, dass Lenny der Mund verdattert offen stand. Dann sah er ihn entsetzt an.

„Du willst, dass ich von heute auf morgen mit dir gehe? Das wird meine Mutter mir nie erlauben.“

„Du brauchst keine Erlaubnis. Die Leute regeln das alles. Sie werden mit ihr reden und ihr alles erklären, wenn wir schon weg sind. Du musst es nur wollen. Es ist schwer, ich weiß. Ich mach das auch nur, weil ich hoffe, dass du dabei bist. Mit dir würde ich überall hingehen.“

Lenny brauchte merklich Zeit, um das zu verarbeiten. Dann meinte er. „Ich weiß nicht. Ich würde, glaube ich, lieber hier bleiben. Es hört sich wie eine einmalige Chance an, aber wir sollten erst noch abwarten, wo das mit uns hinführt.“

Andy seufzte schwer. „Das kann ich nicht. Ich muss gehen.“

Lenny starrte ihn entgeistert an. „Warum?“

„Ich hab schon zugestimmt. Nur deswegen durfte ich dich fragen.“, sagte er bedrückt.

„Dann sag einfach, du hast es dir anders überlegt. Die können dich nicht zwingen, oder?“

Andy sah ihn mit wässrigen Augen an. „Nein, aber ich muss einfach gehen. Was die machen ist zu wichtig und … auch wenn es mir schwer fällt … aber ich kann denen meine Hilfe nicht ablehnen. Deshalb bitte ich dich, auch wenn ich das sonst nie tun würde, bitte komm mit mir. Ich will dich nicht verlieren. Ich glaub an uns und ich liebe dich.“ Tränen liefen ihm die zarten Wangen hinunter.

„Aber ich kann doch nicht einfach abhauen.“ Auch Lenny schossen die Tränen in die Augen und liefen an der  wunderschönen Nase entlang.

Für einen Moment umarmten sie sich beide und ließen ihren stechenden, reißenden Gefühlen freien Lauf. Andy wusste in der Sekunde, dass  Lenny es nicht über sich bringen würde, mit ihm diesen Schritt zu wagen und er konnte es ihm nicht verübeln. Dennoch schmerzte es so unheimlich. Sein Magen spielte verrückt, wie eine Achterbahn, all seine Muskeln verkrampften und er stieß sein Finger tief in Lennys Rücken. Auch Lenny spürte, dass dies ihre letze Umarmung sein würde. Ihr letztes Treffen und er wollte nicht, dass es endet. Er liebte Andy wie kein anderen zuvor, aber wie könnte er seine Familie verlassen? Er war noch so jung und hatte gerade mal einen normalen Abschluss. Diese Umarmung tat höllisch weh. Die schlimmsten Befürchtungen schienen für sie beide wahr zu werden.

Andy hielt es schließlich nicht mehr aus. Er löste sich aus dem festen Griff seines Freundes, auch wenn der ihn nur widerwillig losließ, stand auf und ließ den schluchzenden, in die eigene Arme gesunkenen Lenny auf der einsamen Bank zurück. Fast im Laufschritt entfernte er sich von der Unglücksstelle und kämpfte mit den heftigen Stößen, die aus der Mitte seines leidenden Körpers drangen und Tränenbäche freisetzten.

Er wusste nun nicht mehr, wie er diese Reise überstehen sollte. Am liebsten erschien ihm gerade der Tod durch einen dieser wilden Widersacher. Dennoch fand er irgendwie die Kraft, sich nach Hause zu befördern, ohne einen Unfall zu bauen und dort, nach, wie es schien, einer Ewigkeit der Gefühlsausbrüche, die Abschiedsbriefe zu schreiben und gegen Abend auch abzuschicken. Die letzten Stunden verbrachte er mit seinem Hund. Zum Glück hatten seine Eltern einen Schlüssel, da sie ihn am nächsten Morgen abholen mussten, wenn ihnen der Bote von Tartock seine Geschichte erzählte. Er war nur froh, dass er den Abschied nicht selbst erklären musste. Eine weitere, derartige Tortur wie bei Lenny würde er nicht überstehen. Noch immer plagte ihn der Gedanke, seinen so wundervollen Freund wahrscheinlich nie wieder zu sehen. Niedergeschlagen und mit einem flauen Gefühl in der Bauchgegend legte er sich früh schlafen, da die häufigen Tränenschübe ihn müde gemacht hatten. Ihn verfolgte ein böser Alptraum, doch war es ihm nach dem heutigen Tag gleichgültig. Nichts konnte schlimmer sein, als die Trennung von seinem über alles geliebten Freund, dem besten Freund, den er je hatte. Den Zwillingsbruder, mit dem er eine Seelenverwandtschaft zu teilen schien, den er sich als einsames, gelangweiltes Einzelkind immer gewünscht hatte. Seine Gedanken kamen nicht von ihm ab. Der verletzte Blick auf seinem Gesicht verfolgte ihn. Die Veränderungen in seinen sonst so wunderschönen Augen… Andy weinte fürchterlich in seinem Bett, wie ein Baby zusammengekauert und tief erschüttert. Sein Hund, ganz aufgewühlt, versuchte ihm zu helfen und stupste ihn wild mehrmals mit der Schnauze an, doch auch er konnte den unerträglichen Schmerz nicht lindern.

Ein bekannter Ton riss ihn aus seiner Wehmut und hallte in seinem Ohr wider. Ein Licht leuchtete auf. Auf seinem Tisch klingelte sein Handy. Verwirrt und unschlüssig blickte er auf das Telefon, das er nur verschwommen wahrnahm. Wer rief ihn so spät noch an? Die Melodie weckte seine Erinnerungen an die vielen Male, da Lenny in angeklingelt hatte und das schmerzte erneut fürchterlich. Er wollte nicht rangehen; weder war ihm nach reden zu Mute, noch würde er eine Konversation ohne Gefühlsausbruch überstehen.

Unaufhörlich dröhnte die Musik in dem Zimmer, bis Andys Neugier geweckt war. Er richtete sich auf und sah auf den Display. Erschrocken fuhr er zusammen, während ein Herz einen Sprung machte. Mit keiner Silbe hätte er damit gerechnet. „Lenny“ blinkte es auf dem blauen Hintergrund. Aber was wollte er? Andy vermutete, dass er ihn erneut überreden wollte, hier zu bleiben. Aber das war ausgeschlossen; er musste sein Bestes geben, um die Katastrophe abzuwenden.

„Hi“, sprach er letzten Endes in die Sprechmuschel, kaum lauter als ein Hauch.

„Andy, hey, ich war vorhin etwas überrumpelt, aber ich kann dich nicht so einfach gehen lassen.“ Er klang ernst und nachdenklich, aber überhaupt nicht verheult, wie Andy vermutet hätte. „Du bist das Beste, was mir je passiert ist. Ohne dich würde ich hier verzweifeln, ich brauche dich.“ Andy hatte richtig befürchtet, dass er ihm den Abschied noch schwerer machen würde. „Ähm, sag mal, wie sieht das eigentlich genau aus? Was haben denn deine Eltern dazu gesagt? Und wer kümmert sich um deinen Hund? Was ist mit der Wohnung?“

Am liebsten hätte Andy aufgelegt. Es war schrecklich, Lennys Stimme zu hören, mit dem Wissen, dass er in ein paar Stunden fort sein würde. Und der unnormal sachliche Ton seines Freundes tat ebenfalls weh. Doch er fühlte ihm die Erklärung schuldig und außerdem weckte die Art von Lenny sein Interesse. „Jemand von den Leuten erklärt meinen Eltern alles, wenn ich weg bin. Die bezahlen auch alle meine Unkosten, so dass auch vielleicht jemand meinen Eltern mit dem Hund hilft.“

Lenny dachte offenbar nach, denn er war still. Plötzlich flammte in Andy ein Hoffnungsschimmer auf. Konnte das wirklich sein, fragte er sich.

Und prompt bestätigte Lenny seine Vermutung. „Also, nehmen wir an, ich würde mitkommen, was wär mit meiner Familie? Und was würde ich da überhaupt tun? Ich kann doch nichts.“

Andy sprach nun hektisch und gewillt, all seine Überzeugungskraft walten zu lassen. „Jemand würde deiner Familie alles erklären und ihr versichern, dass es dir gut geht. Sie würde bestimmt Geld bekommen und ab und zu wohl auch eine Rückmeldung von dir. Und du wärst auf der Reise genau so nützlich wie ich, das kann ich dir versichern. Wir könnten ihnen zusammen sogar noch mehr helfen, wie genau, das erklär ich dir noch. Wir wären ein unschlagbares Team und wir wären zusammen, Lenny. Ich brauch dich doch auch und ich weiß nicht, wie ich das ohne dich durchstehen soll.“

Lenny überlegte erneut. Andy hoffte nun inständig und völlig unruhig, so dass er im Bett auf und ab wippte. „Heißt das, ich soll hier einfach abhauen? Ohne ein Wort? Und wie soll ich all meine Sachen mitnehmen?“

Andy strahlte voller Hoffnung, doch noch mit seinem liebsten auf die Reise gehen zu können. Sie würde zusammen dieses Abenteuer erleben; das war in seinen Augen fantastisch.

„Am besten, du schreibst ihnen einen kleinen Zettel. Und Sachen brauchst du nicht. Die Leute werden uns alles geben, egal was wir brauchen oder wollen. Du musst dich nur beeilen und schnell herkommen. Um Mitternacht holen sie uns bei mir ab.“

„Was? So früh? Ich dachte erst morgen. Aber das schaff ich doch nur mit ganz viel Glück.“

„Nach um 12 ist doch schon morgen, oder?“ Andy war es unangenehm, dass er ihm nicht die genaue Zeit gesagt hatte. „Aber wenn du gleich losgehst, dann schaffst du es noch. Bitte komm, schnell. Du hast dann für dein ganzes Leben ausgesorgt.“

„Ja, und ich werde bei dir sein. Ich mach mich auf den Weg. Halt sie hin, wenn ich zu spät komme.“

Andy konnte nicht mehr sagen, dass es ihm schwer fallen dürfte, sie zurückzuhalten, wenn sie ihn auf dieselbe Weise wie letztes Mal abholten. Lenny hatte bereits aufgelegt.

Andy war nun überglücklich. Er bangte auch umsonst, dass Lenny es nicht schaffen könnte, weil er dazu neigte, zu spät zu kommen. Früh genug erreichte Lenny seinen Freund und strahlte über beide Ohren, als sie sich in die Arme fielen. Beide waren zwar unsicher, was dieser Weg für sie bedeuten würde, doch freuten sie sich auf eine ununterbrochene gemeinsame Zeit. Sie wagten etwas Großes, doch vertrauten sie auf ihr Glück.

 

 


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