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Die Troidischen Drei 
Der Antus 
Geständnisse 
Troiduin 
Pr. Umbridge und die DA 
Der Sprechende Hut 
Science-Fiction Lovestory 

 

Troiduin

 

1

Mitten in der Nacht wachte Duncan aufgrund eines merkwürdigen Drucks auf. Etwas wollte aus ihm heraus, und wenn er sich dem Willen dessen nicht beugte, würde es sich den Weg selbst freilegen. Wie in vielen Nächten verlangte sein Körper einen Gang zur Toilette.

Er ging ins Bad, um sich seiner Last zu entledigen, wobei er taumelnd den Weg suchte. Im Halbschlaf übersah er das Geländer direkt neben seiner Tür und stieß seine Hüfte daran. Es tat ein bisschen weh, allerdings reichte der Schlag nicht, um ihn vollends ins Land der Realität zurückzuführen.

Plötzlich erstarrte Duncan wie vom Blitz getroffen. Er traute seinen Augen nicht. Durch den Spalt Öffnung zum Schlafzimmer seiner Eltern sah er ein beängstigendes Schauspiel. Sowohl sorgenvoll als auch verwundert riss er seine Augen auf, um das Bild gänzlich in seinen Kopf zu bekommen. Auch nach einem Klopfer mit der Faust gegen seinen Kopf änderte sich nichts an seiner Wahrnehmung. Seine Mutter schwebte weiterhin zwei Meter über dem Bett, die Bettdecke an ihren Seiten herunterbaumelnd. Sein Vater bemerkte davon kein bisschen.

Verwirrt schlenderte er den Rest des Weges zum Bad. Er verstand es nicht. Ein Traum musste sich in die reale Welt geschlichen haben. Was war nur mit seiner Mutter geschehen? Dann traf ihn die Erkenntnis wie ein Stromschlag. Die Erinnerungen des letzten Abends wurden wachgerüttelt und vertieften sich in seinem Bewusstsein. Er hatte das Gespräch und die Vorstellung nicht geträumt, sondern in der Wirklichkeit erlebt.

Nach der Erleichterung kehrte er zurück zu dem Zimmer seiner Eltern. Dort betrachtete er seine Mutter, die ohne jede Anstrengung auf der Stelle schwebte. Ihm wurde bewusst, dass diese Art des Lebens nun für ihn zur Normalität werden musste. Eine seltsame Vorstellung, die im Gegensatz zu jeder Weltanschauung der Erdbewohner stand. Duncan würde dazugehören, ob er wollte oder nicht.

 

2

 

Trotz seines nächtlichen Ausflugs stand er am Morgen zeitig auf. Er war kein großer Langschläfer, denn den Tag begann man am besten so früh wie möglich. Er fühlte sich richtig ausgeruht und erholt, als hätte er tagelang geschlafen. Dies und die Tatsache, dass er nicht zur Schule musste, versüßten seine Stimmung ungemein. Die Wahrheit über seine Eltern hatte er akzeptiert, so dass er sehr gespannt darauf war, welche Fähigkeiten ihm zuteil wurden. Ein paar Zweifel in Hinsicht auf seine eigenen Mächte blieben dennoch, da er von vornherein misstrauisch veranlagt war. Dadurch verminderte er jedwede Enttäuschung bereits an den Wurzeln.

Im Gegensatz zu ihm waren seine Eltern ausgesprochene Bettwälzer. Sie schliefen nicht bis in den Mittag hinein, aber lang genug um Duncan ordentlich warten zu lassen. Er hoffte, dass sie heut mit seinem Training beginnen würden. Andererseits fürchtete er, dass sie seine Kräfte schonen wollten und lieber einen weiteren Tag warteten. Er würde es nicht aushalten, wenn sie ihn bis dahin warten ließen. Auf diese Entscheidung würde er sowieso noch ein bis zwei Stunden warten, also musste er sich ablenken.

Er schaffte es nicht, so dass er stattdessen überlegte, wie sie seine Fähigkeiten rausfinden wollten. Gab es vielleicht einen Test oder kannten sie andere Methoden? Ihm kam in den Sinn, dass er es auch allein probieren konnte. Mehr als wertvolle Zeit vergeuden konnte er jetzt sowieso nicht tun.

Er grübelte darüber nach, wie er es anstellen sollte. Würde es reichen, sich nur darauf zu konzentrieren? Herumrätseln würde es ihm auch nicht verraten, also legte er los. Er hatte keine andere Wahl, als sich zuerst mit den Fähigkeiten seiner Eltern zu befassen, denn weitere kannte er noch nicht. Das Fliegen war ihm am liebsten. Er wünschte sich diese Kraft so sehr, wie es wahrscheinlich jeder Heranwachsende tat, deshalb befürchtete er allerdings, sehr enttäuscht zu sein, wenn es nicht funktionierte.

In der Mitte seines Zimmers stellte er sich gerade hin und streckte sich gen Himmel. Stark konzentrierte er sich auf das Abheben. Er kam sich ein wenig lächerlich vor, doch hoffte er, von niemandem beobachtet zu werden. Es funktionierte nicht. Eventuell brauchte er eine höhere Position, um es besser zu fühlen. Wegen diesen Überlegungen stellte er sich auf einen Stuhl und probierte dasselbe erneut. Ihm war bewusst, dass der Stuhl ein wenig wackelte und es gefährlich werden konnte, aber seine Neugier trieb ihn zur Unüberlegtheit. Angestrengt malte er sich vor, wie er abhob, die Augen geschlossen. Es war, als würde es tatsächlich funktionieren. Er kam höher und fühlte sich frei.

Bevor er bemerkte, dass er nur auf Zehenspitzen stand und das Gleichgewicht verlor, fiel er längst vom Stuhl. Für einen Bruchteil von einer Sekunde konnte er noch die Decke erkennen, wie sie sich entfernte, da landete er mit dem Hintern genau zwischen den Stuhlbeinen. Er konnte sein Glück kaum fassen, wäre er nur einen Zentimeter weiter zum Stuhl gefallen, würde er nun mit gebrochenen Knochen auf dem Holzgerät liegen. Seine Beine waren zwar auf dem Stuhl gelandet und taten höllisch weh, jedoch konnte er das ertragen. Sein Rücken, der auf dem Boden lag, schmerzte ebenfalls, so dass er eine Weile zur Regenerierung liegen blieb. Das Poltern musste ziemlich laut gewesen sein. Er hoffte, dass er damit seine Eltern nicht geweckt hatte. Er lauschte kurz, doch es regte sich nichts im Haus.

Die Flugfähigkeit konnte er demnach also vergessen. Schade, dachte er. Er wählte seine nächste Testfähigkeit aus. Er entschied sich für Telekinese, da sie von den sechs bekannten am ungefährlichsten erschien. Er wollte nicht zu viel riskieren, woran ihn sein Rücken erinnerte.

In seinem Zimmer suchte er nach einem kleinen, leichten Gegenstand für sein Vorhaben. Es fiel ihm nicht schwer, einen zu finden. Der Bleistift neben dem Glas auf seinem Schreibtisch war perfekt. Diesen fokussierend, setzte er sich auf sein Bett, das auf der anderen Seite des Raumes stand, und von wo aus er eine perfekte Sicht auf den Stift hatte. Mit zusammengekniffenen Augen schärfte er seinen Sinn für den Gegenstand. Entspannt ließ er auch seine anderen Sinne nur für den Bleistift da sein. Alles andere blendete er aus. Nur er und der Stift befanden sich in dem Zimmer. Das längliche Holz mit den vielen Kratzern und er. Die vielen Konturen, welche ihm mit einem Mal auffielen, lenkten ihn irgendwie ab, weshalb er die Augen schloss und sich den Stift vorstellte. Er lenkte all seine Kraft auf die Schreibhilfe und sah schließlich, wie sie sich bewegte. Zumindest in seiner Vorstellung, denn mit geöffneten Augen erspähte er keine Veränderung. Seine Gedanken hatten ihm nur einen Streich gespielt.

„Mist“, verkündete er laut. Wut machte sich in ihm breit. Wenn diese Kraft auch nicht funktionierte, dann hätte er keine große Auswahl für sein Selbsttraining. Die anderen Fähigkeiten waren zu kompliziert, als dass er sie ohne seine Eltern üben konnte. „Warum funktioniert das bloß nicht?“ Er konnte sich insgeheim denken, wie die Antwort darauf lautete. Er besaß diese Fähigkeit nicht. Das betrübte ihn und er zweifelte abermals daran, ob er überhaupt mit Fähigkeiten gesegnet war. Er fühlte sich wie das schwarze Schaf der Familie.

Dann fasste er neuen Mut. Ihm fiel ein, dass sich neue Fähigkeiten in seiner Lieblingsserie, in der es um Magie ging, meistens erst zeigten, wenn die Person wütend war oder generell starke Gefühle zeigte. Es war eine andere Methode, die mehr Erfolgschancen versprach, so hoffte er.

Es fiel ihm durchaus nicht schwer, wütend zu werden. Seine Freundin Siri war dazu bestens geeignet. Sie stritten sich täglich, womit sie sich ständig zur Weißglut brachten, doch genau das wollten sie auch. Nie entgleiste ein Streit, so dass sie es zum Abreagieren von ihrer verborgenen Wildheit benutzten. Er dachte sofort an den Vorfall vor drei Tagen, als sie sich darüber gestritten hatten, ob Europa größer war als Australien. Duncan war fest davon überzeugt, aber Siri hielt dagegen. Allein der Gedanke daran entfachte seine Aufgebrachtheit.

Er richtete diese entstandene Entschlossenheit auf den Stift, der sich allerdings nicht zur kleinsten Bewegung überreden ließ. Auch als er all seine Muskeln anstrengte und sein Blut angeregt durch seinen Körper schoss, ließ sich die Lage des Bleistiftes nicht verändern. Ihm blieb keine andere Wahl, als aufzugeben.

„Nicht mal Julius“, er dachte laut an sein Lieblingsbuch aus Kinderzeiten, „würde mit seinem Spruch heräis diesen… aua.“ Es hatte kurz gezischt und geklirrt, bevor Duncan etwas gegen seinen Kopf bekam. Der Bleistift war direkt gegen seinen Kopf geflogen und hatte auf seinem Weg das Glas mitgenommen, welches nun auf dem Teppich lag. Der Stift war von seinem Kopf abgeprallt und hatte den selben Weg wie das Glas eingeschlagen. Offensichtlich bewirkte Julius’ Zauberspruch doch etwas.

Verblüfft sah er die beiden Gegenstände an. Hatte er das wirklich gerade bewerkstelligt? Plötzlich ging die Tür auf und zwei verwunderte Gesichter, dessen Körper in Bademänteln steckten, lugten herein. Seine Eltern hatten den Krach mitbekommen; wahrscheinlich waren sie mittlerweile wach genug gewesen, um es zu hören.

Dines Blick wanderte von dem stets umgeworfenen Stuhl, zu dem Glas und dann zu Duncan. „Kannst du uns vielleicht erklären, was du hier veranstaltest?“ Sie schritt zeitgleich ins Zimmer und ließ Droy Platz, ebenfalls einzutreten.

„Das… das war nur ein kleiner Test. Mir war langweilig und ich wollte unbedingt ausprobieren, ob ich eure Fähigkeiten habe.“

Droy sah ihn mit einer herabsetzenden Miene an. „Also wirklich, Duncan. Gestern hätte man dich vom Boden kratzen können und heute schlägst du auf eigene Faust los und weist überhaupt nicht, wohin.“

Duncan empfand die Situation als peinlich. Seine Sicht auf sein Verhalten änderte sich schlagartig, als er nicht mehr alleine, sondern vor seinen Eltern entblößt war. „Ja, ich weiß, aber ihr habt noch geschlafen und ich konnte nicht mehr warten.“

„Anscheinend weißt du es ja doch nicht“, meinte Dine streng. Seit sie die Tradition brechen musste, sah sie die Dinge etwas ernster. „Du hättest dich ernsthaft verletzen können und das nur, weil du keine zwei Stunden warten konntest?“

„Ihr meintet gestern, dass ihr noch gar nicht wisst, ob ich heute damit anfangen könnte. Deshalb dachte ich, dass ich es einfach schon einmal versuche. Ich fühl mich nämlich wieder wie neu, total ausgeruht.“

Droy musste lachen. Er fand diese Ausreden zu absurd. „Du willst uns jetzt ernsthaft weismachen, dass du es besser findest, ohne unseren Rat etwas zu versuchen, von dem du keine Ahnung hast? Anstatt darauf zu warten, dass wir einschätzen, ob du gesund bist oder nicht, setzt du einfach alles aufs Spiel? Das kann doch wohl nicht dein Ernst sein.“

Duncan hatte sich anscheinend in etwas verrannt und alles nur schlimmer gemacht. Er hasste es, wenn so etwas passierte. „Nein! Es tut mir leid.“

Seine Mutter sprach nun sanft zu ihm: „Versteh doch! Wir machen uns Sorgen um dich. Mit einer Vergiftung solltest du nicht so leichtfertig umgehen, auch wenn alles in Ordnung zu sein scheint. Und über die Schnapsidee, deine Fähigkeiten selbst herauszufinden, brauchen wir erst gar nicht reden, oder?“

Duncan stand auf und nickte nur, um sich nicht weiter zu verzetteln. Er nahm den Stuhl, der vor ihm auf dem Boden lag, und stellte ihn zurück an den Tisch.

„Was hast du hier eigentlich versucht?“, fragte Droy neugierig mit einem Grinsen.

Duncan wollte es nicht erzählen, weil es ihm zu dumm vorkam, aber irgendwie musste er sie befriedigen. „Ich dachte, es ist einfacher zu fliegen, wenn man schon etwas höher ist.“

„Und warum hast du dich dann nicht gleich aufs Dach gestellt?“, wollte Droy amüsiert wissen.

„Ha, ha, ha“, gab Duncan zurück.

„Das Glas wolltest du bewegen, nicht wahr?“, fragte Dine über den Streit der beiden hinweg. „Hat es denn funktioniert?“

„Ich wollte den Bleistift bewegen, und erst hat es nicht funktioniert, aber dann hab ich so vor mich hin geredet und einen Spruch aus einem alten Buch von mir laut gesagt. Auf einmal flog mir der Stift gegen den Kopf und nahm das Glas dabei mit.“

„Ich dachte schon, es wären kleine Mäuse gewesen“, sagte Droy.

„Jetzt hör auf, Droy.“ Dine war von dieser Geschichte verblüfft. Sie verstand nicht, wie es funktioniert haben könnte. „Und was hast du gesagt?“, fragte sie verwirrt.

„Nur heräis aus diesem Buch da. Es…“ Es krachte im Regal, auf das er zeigte, weil ein Buch herausschoss und auf ihn zusteuerte. Im letzten Augenblick konnte er sich ducken, doch es fiel ihm dennoch auf den Kopf.

„Das ist ja sagenhaft“, meinte Dine überrascht.

„Und genau aus diesem Grund sollst du nicht alleine irgendwelche magischen Sachen probieren“, überspielte Droy seine Verwunderung. „Genauso beim Fliegen. Wenn die Fähigkeit tatsächlich funktioniert hätte, dann würdest du wahrscheinlich jetzt noch durch die Gegend sausen, weil du es überhaupt nicht kontrollieren könntest. Es ist wichtig, dass im Falle eines Falles immer jemand dabei ist.“

„Ja, ich hab schon verstanden“, meinte er, sich mit dem Buch in der Hand aufrappelnd. Es war recht dünn, so dass er sich nicht weh getan hatte. „Ist das irgendein Zauberspruch oder so was?“

„Nein, eben nicht, deswegen wundere ich mich auch so“, meinte Dine nachdenklich. „Es gibt viele Sprüche, aber mir wäre einer aufgefallen, mit dem man dasselbe wie mit meiner Fähigkeit anstellen kann.“

„Vielleicht benutzt er den Spruch nur, um die Fähigkeit aus sich herauszuholen?“, schlug Droy vor, der jetzt wieder bei der Sache war.

„Das glaube ich nicht. Wenn er meine Fähigkeit besäße, dann würde sich der Gegenstand bewegen, aber nicht wie wild auf ihn zuschießen. Andererseits kenn ich mich damit auch nicht so genau aus.“

„Lass uns erst mal frühstücken, danach sehen wir weiter“, sagte Droy gelassen, während Duncan das Buch zurücksteckte und das Glas auf den Tisch stellte.

Seine Eltern verließen das Zimmer, damit er sich fertig machen konnte. Droy ließ es sich nicht nehmen, noch einmal auf ihm herumzuhacken, indem er meinte, dass das Zimmer sowieso eine gründliche Reinigung benötige und er die Sachen jetzt nicht aufräumen müsse.

Duncan ignorierte diesen Kommentar so gut es ging und verschwand im Bad.

 

3

 

In der Küche setzte Dine gerade Wasser für die Eier auf, die Brötchen befanden sich bereits im Ofen. Derweil deckte Droy den Tisch und füllte die Tassen mit Kaffee oder Kakaomilch.

„Mir war schon klar, dass er es nicht abwarten konnte“, meinte Droy. „Wir waren damals auch nicht anders. Wer hätte uns schon vom Zaubern abhalten können?“

„Sicherlich, aber dass er gleich so früh aufsteht und so einen Unsinn anstellt“ Sie konnte ein Lächeln nicht verkneifen. „Das muss man sich mal vorstellen. Da stellt sich jemand in sein Zimmer und versucht zu fliegen. Die Nachbarn würden wahrscheinlich denken, er wäre völlig durchgedreht, besonders wenn sie uns gestern gesehen haben.“

„Hätten die schon so viel gesehen wie wir, dann fänden sie das auch nicht mehr seltsam.“

„Ich bin jedenfalls froh, dass der Antus so gut gewirkt hat. Meine Kochkünste sind halt phänomenal, das wusste ich schon immer.“

„Natürlich, mein Schatz. Zu blöd, dass dir genau in diesem Augenblick die Brötchen verbrannt sind.“

„Was?“, rief Dine entsetzt und sprang zum Herd, in dem die Brötchen jedoch noch weiß, anstatt goldbraun, waren. Dafür erhielt Droy einen verärgerten Schlag auf den Arm. „Mann, du sollst nicht immer so gemein zu mir sein“ Sie setzte eine Mitleidsmiene auf, so dass Droy sie grinsend in den Arm nahm und sie sich leidenschaftlich küssten.

In diesem Augenblick erschien Duncan in der Küche und setzte sich an den Frühstückstisch.

„Tut es noch weh?“, frage Dine behutsam, denn Duncan war sichtlich schlecht gelaunt.

„So schwer war das Buch nun auch wieder nicht“, sagte Duncan.

Nach einer länger anhaltenden Stille, in der sie der Radiomusik lauschten und auf das Frühstück warteten, erinnerte sich Duncan an die letzte Nacht. „Ach, Mutti!“ Daraufhin schenkten die beiden ihm ihre Aufmerksamkeit. „Letzte Nacht, als ich ins Bad musste, da hab ich etwas ganz Komisches beobachtet.“

„Ach so“, meinte sie überrascht.

 „Ja, eure Tür war offen und da hab ich gesehen, dass du über dem Bett geschwebt hast.“

Dine wurde rot. „Wirklich?“

„Davon habe ich überhaupt nichts mitbekommen“, meinte Droy verwundert. „Das hast du doch schon seit Ewigkeiten nicht mehr gemacht.“

„Stimmt. Seit ich mit der Zauberei aufgehört hab, hat sich auch diese Eigenart gelegt“, bestätigte Dine.

„Heißt das, du machst das öfter? Einfach so im Schlaf schweben, ohne es zu steuern?“

„Ja, das passiert ab und zu. Also nicht, seit du auf der Welt bist, aber das ist wahrscheinlich vom Unterbewusstsein gesteuert“, erklärte Dine.

„Ich denke, das rührt daher, dass du deine Fähigkeiten nicht benutzt hast. Dein Körper war ständig mit Magie gefüllt, aber als du das Training abgebrochen hast, wurde auch die Energieproduktion reduziert, wie bei unbenutzten Muskeln. Das selbe Prinzip.“

„Und dann schwebt sie einfach so, wenn sie viel zaubert?“, wollte Duncan wissen.

„Ich schätze mal, dass deine Mutter noch nicht so richtig mit ihren Fähigkeiten klar kommt. Das war schon immer so. Wir werden für sie gleich ein paar Übungsstunden mit einplanen“, scherzte Droy belustigt, was dazu führte, dass er einen Magnetsticker vom Kühlschrank an den Kopf bekam. „Au“, sagte er, die Hand auf die Aufprallstelle gelegt, und sah Dine vorwurfsvoll an.

Duncan genoss es, seine Eltern nach 8 Jahren Ehe so verliebt zu sehen. Sie neckten sich gerne auf diese liebevolle Art und Weise, wovon auch Duncan des Öfteren etwas abbekam. Besonders, wenn er sich auf eine der beiden Seiten stellte, um von der Empörung des Gegners zu profitieren. Heute zum ersten Mal konnte er nicht eingreifen, da er den Kräften seiner Eltern machtlos gegenüberstand. Er musste das Schauspiel also unbeteiligt mit ansehen, weshalb er erneut an seiner Kompetenz zu zweifeln begann. War dieses kleine magische Spielchen alles, was er konnte? Ein Spruch aufsagen, mit dem er sich selbst verletzte?

Die Brötchen waren zeitgleich mit den Eiern fertig, so dass sie sofort mit dem Essen beginnen konnten. Es schmeckte wie immer köstlich, doch plagte Duncan der Gedanke an seine magischen Kräfte. „Meint ihr wirklich, dass ich solche Fähigkeiten wie ihr besitze? Das mit dem Buch war wohl nur ein Ansatz einer Fähigkeit, aber nichts Ganzes. Vielleicht war es das ja schon und mehr kann ich einfach nicht.“

„Duncan, das ist absoluter Schwachsinn“, meinte Droy genervt. „Wir wissen zwar nicht, was das mit dem Spruch von dir auf sich hat, aber das hat überhaupt nichts zu bedeuten. Glaubst du wirklich, irgendjemand kommt auf die Welt und kann perfekt zaubern? Das gibt es nicht. Du hast nicht einmal angefangen, deine Möglichkeiten zu erkunden.“

„Vielleicht braucht er noch einen Beweis“, schlug Dine vor. Sie erhob sich vom Tisch, lief zu der Stelle, an der der Herd stand und kniete davor nieder.

„Was hast du vor?“, wollte Droy stirnrunzelnd wissen.

Dine ließ sich nicht von ihrem Vorhaben ablenken, sondern öffnete die Klappe zum Untergrund des Herds, von wo sie ein kleines Taschenbuch herauszog. Duncan konnte über ihre Schulter hinweg mehrere Gegenstände in dem Geheimversteck erkennen, von denen er keine Ahnung gehabt hatte. Sie kam mit dem verstaubten Buch zurück an den Tisch und klopfte es unter der Platte sauber. Droy schien nun zu wissen, was sie vorhatte, denn er hatte ein wissendes Grinsen aufgesetzt. Anscheinend gefiel ihm ihre Idee.

„Was ist das dort unten?“, fragte Duncan, denn seine Neugier kannte keine Grenzen.

„Das ist ein Geheimfach, in dem wir viele unserer Zauberutensilien aufbewahren“, erläuterte Dine stolz. „Daher hatte ich auch die Zutaten für den Antus, durch den es dir nun wieder so großartig geht.“

Droy nahm Dine nun das Buch ab und betrachtete es, als hätte er es seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen. „Was wir dir jetzt zeigen, das ist sehr wichtig. Hier drin ist unser größter Schatz, um nicht zu sagen, das mächtigste Familienerbstück, das wir besitzen.“ Duncan erkannte die Aufschrift Troiduin in den Buchumschlag eingraviert. Er konnte mit dem Begriff nichts anfangen und wunderte sich über den mysteriösen Inhalt. Diese Neugier ließ ihn fast platzen, doch verstand er nicht, wie er damit mehr über seine Kräfte herausfinden konnte. „Behandle es mit Vorsicht.“

Mit diesem Satz reichte er ihm das Buch, welches sich überraschend leicht anfühlte. Mit Herzklopfen öffnete er die Buchimitation, die keine Seiten enthielt. Ein Hohlraum in der Form des enthaltenen Gegenstandes befand sich im Innern. Nach den Gesichtern seiner Eltern zu schließen, war ihnen dieser Moment äußerst bedeutend. Sie lächelten wie zwei Flusspferde in einem Wasserloch.

„Was ist das?“, fragte er vorsichtig, wobei er den Blick nicht von dem glitzernden Amulett nahm.

„Das nennen wir Troiduin“, gab Droy zum besten.

Duncan fiel es schwer, zu glauben, dass daran etwas Außergewöhnliches war. Wäre in der Schachtel ein besonders geformtes Amulett gewesen, hätte er dem noch Glauben schenken können, aber was er vor sich fand, war nur eine Hälfte von einem runden Anhänger aus Silber.

„Und das soll so wertvoll sein?“, fragte er ungläubig.

„Nun, es ist nicht komplett“, gab Dine zögerlich preis. „Die andere Hälfte von dem Amulett wurde in einem Kampf getrennt und entwendet. Wir wissen derzeit nicht, wo sich die zweite Hälfte befindet, aber selbst ein Splitter davon hätte eine größere Wirkung, als Droy und ich zusammen erreichen könnten.“

Duncan war spärlich überzeugt. Doch plötzlich erkannte er im Schein der Sonne vom Küchenfenster eine Veränderung in der silbernen Oberfläche des Gegenstandes. Es wurde so glatt wie kein vergleichbares Element und schimmerte gleichzeitig seltsam blau. In Duncan entwickelte sich eine Art Flutwelle, die in seinen Zehen startete und sich mit zunehmender Gewalt zu seinen Beinen hocharbeitete. Die Welle wurde größer und gleichmäßiger, aber ebenfalls wilder, bis sie seinen Kopf erreichte und am Strand der Schaltzentrale einschlug.

Nach diesem paradoxen Ganzkörperreiz veränderte sich seine Sicht auf das halbe Erbstück. Er empfand Ehrfurcht vor dem Gegenstand und spürte seinen Einfluss auf ihn.

„Dieses Familienamulett hat ganz besondere Kräfte“, wiederholte sich Dine. „Es wird dir mitunter zeigen, ob du Fähigkeiten besitzt oder nicht. Es wird dir zwar nicht sagen, ob du überhaupt magische Kräfte hast, aber es kann zwischen Fähigkeiten besitzenden Zauberern und Kräfte haltenden unterscheiden.“

„Also gibt es auch solche, die nur Kräfte haben?“

Dine führte ihre Beschreibung fort: „Richtig. Solche Zauberer benutzen Sprüche, um ihre Magie freizusetzen, was wir bei den Fähigkeiten nicht benötigen. Und um zu beweisen, dass du mit der selben Begabung wie wir geboren bist, musst du nur die Kette umhängen.“

Er entnahm dem Kästchen die Kette, an der das halbrunde Amulett hing. Es sah sehr zerbrechlich aus, fühlte sich in seiner Hand jedoch äußerst stabil und kraftvoll an. An dem dünnen Halbkreis waren zwei langgezogene Ellipsen befestigt, die einen exakten Abstand von 120° besaßen. Zwischen den beiden befand sich ein weiterer, kleinerer Ellipsenzipfel, der in einem dünnen, runden Strang parallel zum Äußeren endete. Das vollständige Amulett, so konnte Duncan erkennen, bestand aus drei der großen und drei der kleinen Ellipsen und zwei unterschiedlich großen Ringen. Duncans Exemplar war genau in der Mitte getrennt worden, so dass das fehlende Ende symmetrisch zu seinem sein musste.

 

 

 

 

 

 

 

„Los, leg es an“, forderte Droy ihn auf.

Er folgte der Anweisung und führte seinen Kopf durch das Loch der Kette, woraufhin er das Troiduin an seiner Brust baumeln ließ. In dem Augenblick, da der Halbkreis an seinem Brustkorb anlag, erhellte ein blaues Licht die Stelle. Es durchdrang die gesamte Küche und ließ alle Anwesenden kurzeitig erblinden, während Duncan noch etwas Anderes spürte. Sein Herz wurde ungewöhnlich warm, so dass er Schwierigkeiten beim Atmen bekam.

Dann wurde das Licht schwacher und dunkler, bis es fast vollkommen verschwand. Nur ein kleiner, bläulicher Lichtfleck umhüllte die Stelle, wo der innere Kreis des Troiduins anlag.

Dine beugte sich nach vorne und griff nach dem Kragen ihres völlig verblüfften Sohnes und zog ihn nach unten, wobei sie das Troiduin zur Seite schob. Dort, wo das Amulett über seinem T-Shirt gelegen hatte, war das komplette Troiduin wie eingebrannt zu erkennen, nur dass es aus reinem Licht bestand. Duncan spürte es nicht einmal.

„Das ist unser Familienzeichen“, sagte Droy stolz. „Es ist der ultimative Beweis für deine Abstammung. Bei jeder beliebigen anderen Person wäre gar nichts passiert.“

Duncan war die Sache unheimlich. Er versteckte die Stelle auf seiner Haut wieder mit dem T-Shirt, nahm das Amulett ab und legte es zurück in die Schachtel. Kaum hatte er das Troiduin von seinem Hals entfernt, erlosch die Abbildung auf seiner Brust, was ihn beruhigte. Er war nun überzeugt, dass er nicht mehr normal war und es wahrscheinlich auch nie wieder sein würde.

 


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