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Attentat auf den Schwarm 

 

Attentat auf den Schwarm

 

Vergeltung eines Jahres!

Auf dem Arnim Platz, einem kleinen Park mitten in einer Wohnsiedlung, versteckte Dale Levine sich in einem Gebüsch. Er beobachtete die Seelowerstraße an der Süd-Ost-Ecke des Parks. Sein Herz klopfte wie wild und trotz der Kälte schwitzte er leicht. Die Außentemperatur betrug im Moment um die 16°C, fiel aber stetig, denn der Tag neigte sich dem Ende zu. Die Straßenlaternen waren schon seit einiger Zeit eingeschaltet, obwohl die Dunkelheit sich erst langsam über den Park legte.

Dale hockte hinter einer ein Meter großen Strauchreihe, die entlang des Ostzaunes stand. Er hatte gute Sicht auf die Ecke von der Seelowerstraße und der Paul-Robesonstraße, welche am Park die Ostseite entlang lief. Er hatte einen Plan, den er ständig durch seinen Kopf laufen ließ. Immer wieder, bis er sich sicher war, dass er an jede Kleinigkeit gedacht hatte. Jedes Mal, wenn er dies tat, fühlte er sowohl die Demut, die Angst, die Wut, aber auch die Erregung. Alles zusammen verursachte in ihm eine gewaltige Gefühlsladung, die er heute, nach einem Jahr, entladen wollte. Ein Jahr lang hatte er alles in sich aufgestaut, völlig auf sich allein gestellt und nun war der Zeitpunkt gekommen, wo er Rache nehmen würde. Die Person, der er das alles zu verdanken hatte, sollte dafür büßen, sollte dasselbe durchmachen wie er.

Dale war ein großer Teenager im Alter von 15 Jahren. Er hatte normalerweise hellbraunes Haar, doch das war zurzeit schwarz gefärbt. Im Gegensatz zu einigen anderen war er gut gebaut. Kräftig, jedoch nicht muskelbepackt, und dünn, wobei er allerdings keiner Bohnenstange glich. In der Schule war er vom Benehmen bisher unauffällig gewesen und sorgte nur durch seine guten Leistungen für Aufmerksamkeit. Er war einer der guten, vornehmen Schüler, zumindest in der Gegenwart von Erwachsenen. Seine richtigen Freunde kannten ihn jedoch auch anders. Er hatte sich zwar bis zu diesem Tage noch nie geprügelt und war im Grunde gegen Gewalt, aber es gab auch Momente, in denen er dessen nicht abgeneigt war. Und an diesem unheilvollem Tag würde er all seine Zurückhaltung und all sein gutes Benehmen für kurze Zeit völlig außer Acht lassen.

Er hatte es auf Christopher Reagen abgesehen, den ,,Sunnyboy“ aus seiner Nebenklasse. Dieser war dunkelblond, sehr dünn, aber trotzdem sportlich. Im Ausdauerlauf war er kaum zu schlagen, was wahrscheinlich an seinem jahrelangen Training im Fußball lag. Christopher war generell sehr beliebt und bei manchen sogar angesehen und auf der anderen Seite gab es welche, die ihn durchschauten und verabscheuten. Er war wie viele Jungs in seinem Alter, eingebildet und von sich selbst überzeugt, in den schulischen Leistungen allerdings mittelmäßig bis schlecht. Über andere macht er sich gerne lustig, drückt sich aber vor allem, was ihm peinlich werden könnte. Für seine Zukunft hat er mit Sicherheit nicht den kleinsten Plan und macht sich auch nicht sonderlich Gedanken darüber.

An diesem Tag soll er für alle seine Taten bezahlen. Für alles, was er Dale jemals angetan hatte.

Alles begann vor einem Jahr, als Dale und Chris in der 9. Klasse waren. Dale hatte bis zu diesem einen verheißungsvollen Tag nicht einmal eine Notiz von Christopher genommen, obwohl sie zusammen den Sportunterricht verbringen mussten. An diesem einem September Tag stand erneut Ausdauerlauf auf dem Programm und Dale, der sonst in fast allen sportlichen Anforderungen der Beste war, wusste von Anfang an, dass er dabei mehr oder weniger versagen würde, denn Ausdauerlauf lag mehr als nur nicht in seinem Blut. So kam es, dass Christopher wie immer weitaus vorne lag und gewann. Natürlich war Dale eifersüchtig, doch dieses Mal war es anders. Irgendwie war er besonders gekränkt. Dale fiel das nicht sofort auf, erst als er in der folgenden Nacht einen weitreichenden Traum von Christopher hatte, der in zugleich verwirrte und auch schockte. Da merkte er zum ersten Mal, dass er für Christopher etwas Besonderes empfand. Ungläubig versuchte er diesen Traum immer und immer wieder zu analysieren und zu überdenken, kam letztendlich aber zu demselben Schluss wie beim ersten Mal: Er schien etwas von Christopher zu wollen. Spätestens als er ihn an diesem Morgen sah, wurde ihm das bewusst, denn er bekam eine gewaltige Gefühlsladung bei seinem Anblick. Blitze schossen dabei durch seinen Körper und ließen das Antlitz von Chris noch leuchtender erscheinen.

So fing alles an. Da er den Namen des guten Ausdauerläufers bis dahin noch nicht kannte, erkundigte er sich unauffällig danach und fand ihn heraus. So ging es weiter. Innerhalb eines viertel Jahres kannte er seinen vollständigen Namen und wusste, wann er Geburtstag hatte. Jede Hofpause und bei jedem Treffen auf dem Gang und bei jeder Sportstunde konnte er seine Augen nicht von ihm lassen. Es erfüllte ihn sowohl mit Freude, ihn zu sehen, aber auch mit Trauer und Verlangen. Ein halbes Jahr später fand er zusätzlich noch seine Adresse heraus. Alles entweder durch Zufall oder durch Spionagearbeit. Innerhalb dieses Dreivierteljahres hatte er Christopher so lange beobachtet, dass er seine meisten Gewohnheiten kannte.

Abends nach der Schule, an Wochenenden oder gar in den Ferien saß Dale oft allein da und musste seine Gefühle ertragen, denn sie quälten ihn, mehr und mehr. Jedes mal, wenn er etwas Neues herausgefunden hatte, verschlimmerte sich seine Situation und er fühlte sich niederträchtiger denn je. Dale hatte sogar eine Menge von Andeutungen gemacht und ihm Hinweise zukommen lassen, damit er ihn endlich verstand, doch Chris wusste immer noch nichts. Er schien sich nicht im Geringsten für seine Hinweise zu interessieren, obwohl er nichts von Dales Gefühlen wusste. Selbst wenn Dale kein Junge, sondern weiblichen Geschlechts wäre, wüsste Chris nichts von ihm, denn er machte sich wahrscheinlich nicht einmal die Mühe über die Andeutungen nachzudenken. Generell war Chris in Sachen Liebe und Einfühlungsvermögen eine totale Niete. Er hatte mit seiner Freundin per SMS Schluss gemacht und ihr so gut wie nichts erklärt. Es war typisch für jemanden wie ihn.  

Für das alles, für Dales einsame Stunden, für seine Qualen, für seine Probleme und für seine Gefühle sollte Christopher heute seinen Kopf hinhalten und Dale hatte vor, ihn bereitwillig entgegenzunehmen.

Christopher wohnte in der Seelowerstrasse direkt neben dem Park. Dale konnte den Eingang von seinem Versteck zwar nicht sehen, weil er um die Ecke lag, jedoch wusste er, dass Chris irgendwo vorbei musste, wo er ihn sehen konnte. Christopher war zu dieser Zeit immer beim Fußballtraining, das wusste Dale, und in nächster Zeit würde er nach Hause kommen. Dale würde so lange warten und sich ihm dann annehmen. Er hatte absichtlich diesen Zeitpunkt ausgesucht, weil es bereits dunkel sein würde, wenn Chris zurück kommt. Bis dahin blieb ihm nur das Warten übrig.

Seine Wut hatte sich sogar noch gesteigert, als er über das letzte Jahr nachgedacht hatte. Sein T-Shirt war mittlerweile schweißgetränkt, aber sein Herz klopfte nun nicht mehr wie wild. Das Warten hatte ihn vorerst beruhigt, doch das würde sich schlagartig ändern, wenn Chris vorbeikommt. Er freute sich auf die Vergeltung und würde sich nicht entgehen lassen, alle Kleinigkeiten seines Vorhabens zu genießen.  

Es konnte nun nicht mehr lange dauern. Er prüfte nochmals alle Gerätschaften, die er für seine Tat benötigte. Die Chloroformflasche hatte er geöffnet in seiner Hand. Die Handschuhe waren längst angezogen und bei der Kälte war er auch froh, dass er sie brauchte. Das Stück Stoff, in dem er das Chloroform hineinschütten musste, sobald er Christopher sah, bewarte er in der anderen Hand auf. Soweit er den Betäubungsvorgang in seinem Kopf durchging, hatte er dafür alles bereit. Als nächstes würde er seine elektrischen Geräte brauchen, dessen Batterien er früh genug aufgeladen und diesen Zustand mehrmals überprüft hatte. Einen kleinen Vorrat mit Verbandszeug hatte er vorsichtshalber ebenfalls in seinen Taschen verstaut, denn er wollte Chris ja körperlich nicht verletzen. Immerhin liebte er ihn. Das einzige, was er wollte, war ihn zu demütigen und zum Nachdenken anzuregen. Sein Vorhaben würde für Chris grausam genug sein, dachte Dale sich.

Bei den Vorbereitungen war er sehr konzentriert und gründlich gewesen. Schon seit Wochen hegte er diesen Plan, so dass er genug Zeit hatte, alle Kleinigkeiten zu erkennen. Viele Bücher und Filme hatte er studiert, so dass nichts schief gehen konnte.

An das Chloroform war er ziemlich leicht rangekommen. Als seine Schule ein zweiwöchiges Praktikum angeboten hatte, war er bei einer Tierärztin gewesen, weil er sich mit Tieren gut verstand und sie sehr zu schätzen wusste. Oft hatten ihm die Tiere auch die nötige Beruhigung und Ablenkung gegeben, so dass er nicht schon früher ausgeflippt war, doch nun hielt er es nicht mehr aus.

In der Praxis standen die Medikamente alle auf den Schränken und es war ein richtiges Chaos, durch das nur die Ärztin blickte. Zu Dales Glück stand dort noch eine Flasche mit dem Chloroform, welches früher zur Betäubung der Tiere benutzt wurde, nun aber durch bessere Mittel ersetzt wurde. Da es nicht mehr gebraucht wurde, konnte er es ohne großes Aufsehen zu erwecken einstecken. Die Handschuhe hatte er in einem Internetshop ersteigert, so dass niemand die Spur zu ihm zurückverfolgen konnte und das Stück Stoff hatte er aus dem Arzneischrank seiner Eltern entnommen. Es war von einer Mullbinde, von der er etwas abgeschnitten und mehrmals zusammengefaltet hatte.  

Wie so oft stellte er fest, dass er wirklich alles durchdacht hatte. Jetzt musste nur noch Chris auftauchen. Die Sonne war mittlerweile hinter den Dächern verschwunden und über den Park legte sich ein kaltes, dunkles Tuch, das die Tat schon förmlich ankündigte. Die Dunkelheit gefiel Dale. Genau so hatte er es geplant und er hoffte, dass der Rest gleichermaßen planmäßig ablaufen würde.

Jetzt hörte er etwas. Schritte näherten sich ihm. Zum ersten Mal, seit er in dem Busch hockte, kam jemand an ihm vorbei. Die Schritte kamen aus dem Park und wurden immerzu lauter und deutlicher. Es waren zwei Personen. Dale hatte sich umgedreht, um zu sehen, wer dort kam. Es hätte Chris sein können, jedoch nahm Dale an, dass er von der rechten Seite der Seelower- oder von der Paul-Robesonstraße kommen würde.

Jetzt erkannte er eine Frau mit einem Kind. Das Kind zog am Arm der Mutter und schien etwas zu wollen. Die Mutter verweigerte dem Kind aber offensichtlich, was auch immer es wollte. Sie gingen an Dales Versteck vorbei, ohne auch nur in seine Richtung gesehen zu haben. Es schien zu dunkel zu sein, als dass man ihn dort erkennen konnte, wenn man nicht genauer hinsah. Trotzdem pochte Dales Herz wieder schneller, denn die Gefahr, dass er entdeckt wurde, hatte dennoch bestanden und es wäre unangenehm, sein seltsames Verhalten zu erklären. Zumal man die Flasche in seiner Hand bemerken würde, wenn er aus der Dunkelheit treten müsste und das konnte er auf keinen Fall erklären. Zu seinem Glück waren in der Gegend relativ wenige Leute unterwegs. Ein großes Problem hätte er, wenn in dem Moment, wo Chris kommt, noch eine Person in der Nähe sein würde. Wenn das geschah, müsste er das Attentat verschieben, doch das wollte er auf keinen Fall.

Wenn Chris an der Südseite des Parks vorbeikommt, dann würde Dale warten, bis er an ihm vorbei war und sich dann lautlos an seine Fersen heften, sollte er allerdings die Paul-Robesonstraße hoch laufen, was Dale besser gefallen würde, dann konnte Dale sich an der Ecke verstecken, wenn Chris in die Seelowerstraßen eingebogen war.  

Wieder hörte er jemanden. Diesmal kam jemand die Seelowerstraße,  an der Südseite des Parks, entlanggelaufen. Es war ein Junge, ungefähr die Größe von Chris. War er es? Dale war aufgeregt. Er fühlte sich fast so, als wenn er in eine Achterbahn stieg. Alles war in Alarmbereitschaft. Jetzt war der Zeitpunkt gekommen, auf den er schon so lange gewartet hatte. Der Junge war jetzt beinahe bei Dale angelangt. Es schien Christopher zu sein. Die nahegelegene Straßenlaterne war allerdings kaputt und es war zu dunkel, um ihn zu identifizieren. Dale musste warten, bis er in den Lichtschein der nächsten Laterne, die auf der anderen Seite der Kreuzung stand, trat. Er war mit Dale jetzt gleichauf, ging weiter bis zur Ecke und bog dann überraschenderweise in die Paul-Robesonstraße ein. Also war er es doch nicht! Bei der nächsten Laterne etwas weiter die Straße hoch erkannte Dale dann auch, dass er braune Haare hatte und völlig anders gekleidet war. Es hieß nun wieder warten.

Bei der Aufregung hatte Dale die andere Straßenseite völlig außer Acht gelassen. Als er sich nun wieder seiner Aufgabe widmete und die Umgebung beobachtete, merkte er, dass ein weiterer Junge die Seelowerstraße in seine Richtung lief, doch dieser war auf der gegenüberliegenden Seite. Er war schon auf gleicher Höhe mit Dale. War er es diesmal? Dort drüben funktionierten die Laternen und als dieser Typ in das Licht der nächsten lief, traf Dale der Schock, denn es war Christopher. Es waren seine Sachen, die Jeans, die Jacke, die Sporttasche, die Haare und die Frisur. Es bestand kein Zweifel. Jetzt musste Dale schnell, aber weiterhin überlegt, handeln.

Chris überquerte die Kreuzung auf der anderen Seite. Das erschien Dale gelegen, denn so kam er theoretisch aus der Richtung, die ihm lieber war. Dale ging langsam rückwärts aus dem Busch. Halt! Er musste erst den Stoff mit Chloroform beschütten. Das hätte er um ein Haar vergessen. Ohne das Chloroform brauchte er Chris den Stoff überhaupt nicht unter die Nase zu halten und in den nächsten Minuten oder Sekunden würde er mit anderen Dingen beschäftigt sein und hatte keine Zeit, das Chloroform zu benutzen.

Chris war auf der anderen Seite. Dale stülpte kurz die Flasche über den Stoff, machte die Flasche schnell mit dem Deckel zu, den er ebenfalls in der Hand gehalten hatte und verstaute die Flasche in seiner Jackentasche. Chris bog im Augenblick nichts ahnend links ab und lief über die Seelowerstraße. Dale ging hastig nach hinten, aus dem Gebüsch heraus, blieb aber geduckt, damit Chris ihn nicht sah. Er ging zum Ende des Weges, der aus dem Park hinausführte und blieb beim Zaun stehen, dort wartete er darauf, dass Chris die Kreuzung überquert hatte und ihm den Rücken zudrehend zu seiner Tür ging, die nur zwanzig Meter von der Ecke entfernt war. Als es soweit war, kam Dale, mit dem Stoff in der Hand, aus dem Park heraus und beeilte sich, über die Straße, gegenüber von seinem Versteck, zu kommen und sich an der Ecke erneut zu verstecken. Dabei versuchte er leise zu sein, achtete darauf, dass Chris sich nicht umdrehte und dass niemand anderes im Umkreis zu sehen war.

An seinem neuen Versteck schaute er mit einem Auge um die Ecke. Chris war kurz vor seiner Tür. Unbekümmert stellte er sich dann in den halben Meter tiefen Eingang und schloss sorglos die Tür auf. Das war Dales Zeitpunkt. Chris konnte ihn nicht sehen, da sein Blick von der Hauswand abgeschirmt war. Dale musste jetzt zu der Tür rennen, bevor Chris darin verschwunden war. Mit rasendem Herzen, zitternden Knien und angespannt wie nie zuvor, stürzte Dale um die Ecke. So schnell wie er konnte lief er zu dem Eingang. Dann musste alles blitzschnell ablaufen. Chris hatte gerade die Tür aufgeschlossen, wobei er die große Tasche abgestellt hatte, da kam Dale von hinten an und schlang seinen Arm mit dem Stoff in der Hand um ihn. Er drückte seine Handfläche fest auf Christophers Mund. Es ging alles so schnell, dass Chris nicht die geringste Chance hatte, zu kapieren, was mit ihm geschah. Er wehrte sich kurz, stieß Dale den Ellbogen in den Magen, aber Dale ließ nicht locker. Er klammerte sich fest an ihn und nach wenigen Sekunden gab Chris nach und fiel bewusstlos nach vorne in die geöffnete Tür.

Bis jetzt hatte alles funktioniert, wie geplant. Dale legte Chris sachte auf dem Boden ab, stieg über ihn und zog ihn in den Korridor. Die Tasche griff er sich, nachdem Chris im Hauseingang verschwunden war, und sah dabei nochmals flüchtig auf die Straße und in die Fenster, ob ihn jemand gesehen hatte. Er sah zum Glück niemanden.

Jetzt musste Dale seinen Plan vollenden. Das Chloroform würde Chris für zirka 10 Minuten außer Gefecht setzen. Diese Zeit hatte er gut ausgefüllt, also musste er sofort beginnen. Außerdem bestand die Gefahr, dass jemand aus dem Haus auftauchen würde.

Da lag er nun auf dem Boden. Seine größte Begierde. Trotz des Zwangsschlafes sah er noch so gut aus. Dale setzte den leblosen Körper in eine aufrechte Position und lehnte ihn gegen die Wand. Der Flur war nicht sehr breit und ziemlich dunkel. Er drückte auf den Lichtschalter neben der Tür, wo er auch die Tasche deponiert hatte. Der Flur erleuchtete und er sah Chris jetzt noch deutlicher. Er wurde geradezu verleitet zu träumen, als er Chris so vor sich sah, doch das durfte er im Augenblick nicht.

Er holte sein technisches Gerät, den elektrischen Rasierer, aus seiner Tasche. Er würde Chris etwas verunstalten, denn Chris war ziemlich eitel und so war das die wirksamste Art, ihn etwas zu quälen. Die Haare waren Chris außerdem besonders wichtig, vermutete Dale, nach dem, was er beobachtet hatte.

Dale schaltete den Apparat ein und sofort erklang das ratternde Geräusch in dem Gang, hohl von den Wänden wiederhallend. Seine linke Hand fuhr er hinter Chris’ Kopf und hielt ihn somit etwas von der Wand weg. Dann begann Dale zu rasieren. Von vorne fuhr er mit dem Gerät über Chris Kopf. Erst eine Linie an den Ohren vorbei, dann über die Schädeldecke, bis er wieder am Ohr vorbeikam, diesmal auf der anderen Seite. Das Haar fiel Chris auf die Schultern oder flog sanft zu Boden. Kurz darauf war Chris Kopf vollkommen kahl. Es wird ihn sicherlich gewaltig schocken, wenn er aufwacht und das bemerkt, dachte sich Dale.

Dale nahm sich ein paar Haare und steckte diese in eine kleine Tüte, die er in der Hosentasche getragen hatte. Als nächstes zog er ihm die Jacke, den Pullover und das T-Shirt aus. Der flache, glatte, jungenhafte Oberkörper kam nun zum Vorschein. Dale betrachtete ihn ausgiebig, wurde sich seinem Plan jedoch wieder bewusst und holte einen Stift ebenfalls aus seiner Hosentasche. Damit wollte er eine Nachricht auf seinem Körper hinterlassen. Mit einem schwarzen Edding schrieb er: ,, Lass mich in Ruhe!“

Es machte auf den ersten Blick vielleicht nicht viel Sinn, aber es würde die Aufmerksamkeit von Dale ablenken, denn Chris hatte ihm öffentlich noch nie etwas getan, also würde man ihn nicht verdächtigen. Gleichzeitig überbrachte er allerdings seine Nachricht, dass Chris ihn in Ruhe lassen sollte, auch wenn er nicht viel mehr für Dales Zuneigung konnte als dieser selber.

Die Schrift war gut zu lesen. Dale wischte mit seiner Hand über den flachen, zarten Bauch, entweder um zu überprüfen, ob sich die Schrift leicht abmachen ließ, oder einfach nur um seinen Drang zu befriedigen. Er wusste es selber nicht genau. Für ihn blieb alles, was Chris betraf, ein Rätsel. Jedenfalls ließ sich die Farbe weder wegmachen, noch verwischen.

Der nächste Schritt würde die Photokamera beinhalten, die Dale in der Innentasche seiner Jacke verstaut hatte. Er holte diese heraus, schaltete sie ein und schoss Fotos von Chris. Erst eins von vorne, dann von oben und eins von der Seite. Zuletzt noch eins von vorne. Er wollte diesen Augenblick festhalten. Außerdem brauchte er für sich selber Beweise, dass er das wirklich getan hatte. Es klang für ihn selber merkwürdig, aber irgendetwas drängte ihn dazu.

Jetzt sah er flüchtig auf seine Uhr und stellte fest, dass er schon ziemlich lange mit ihm dort war. In ungefähr zwei Minuten würde Chris langsam zu sich kommen und dann musste er verschwunden sein. Zum Glück war bisher noch niemand im Flur aufgetaucht, so dass sie ungestört waren, aber das musste nicht zwingend so bleiben, deswegen entschloss Dale sich zurückzuziehen.

Er packte alle seine Sachen ein und überprüfte die Umgebung, damit er auch nichts vergaß. Als er dann aber so dastand, bereit zu gehen, fiel sein Blick erneut auf Chris, wie er dort seinem Schicksal überlassen, liegen würde und ohne dass Dale vielleicht je wieder eine derartige Chance bekam, da konnte er einfach nicht gehen. Etwas fehlte ihm noch. Etwas zu seiner eigenen, vollständigen Befriedigung. Er wusste, was er von sich noch verlangte. Er versuchte dem zu widerstehen, doch sein Drang danach war zu stark. Er musste es tun, doch dabei blieb ihm nicht viel Zeit.

Er kniete sich ein letztes Mal vor dem leblosen Körper hin, streckte eine Hand nach vorn und langte nach seinem Hosenschlitz. Dann nahm er die zweite Hand hinzu und öffnete ihn lustvoll. Zuerst hinderte ihn ein Knopf zu seinem Ziel zu gelangen, als nächstes der kurze Reißverschluss. Darunter wurde eine bunte Seidenboxershorts offenbart, die locker auf dem darunter vorhandenen Gegenstand der Begierde lag. Das Herz pochte in ihm, als würde er seinem Schicksal persönlich gegenüberstehen. Die Hände zitterten unter den wärmenden Handschuhen, und der Schweiß lief ihm die Stirn hinab. Ein  starkes Gefühl des Verlangens durchströmte ihn und er konnte es nicht länger zurückhalten. Er griff mit zwei Fingern in die Öffnung der Shorts und zog sie mit einem Mal nach unten. Vor seinen Augen wurde ein glanzvolles, kleines, schlaffes Glied entblößt, das sorglos auf dem leicht behaarten Sack lag. Er befestigte die Unterhose unter dem Sack, um sich eine freie Hand zu verschaffen. Er musste ihn einfach berühren, das beste Stück seines heiß geliebten Jungen. Er griff zu, doch spürte er durch die Handschuhe nur wenig. Aus diesem Grund entledigte er sich von seinem rechten Handschuh, mit der Absicht, alles das, was er berührte, später wieder abzuwischen. Als er nun mit seiner warmen Hand nach dem Stück griff, fühlte er ihn ausgiebig, das weiche, längliche Teil, was dem so großartigen Christopher Reagen gehörte, ohne dass dieser ihm eine Erlaubnis für das erteilt hatte. Wenn er das Christopher erzählte, würde er ihm nie im Leben glauben, deshalb entschloss er, noch ein Foto davon zu schießen, auch wenn er eigentlich nicht vorhatte, ihm davon jemals zu berichten.

Er kramte seinen Fotoapparat aus der Tasche, schaltete ihn erneut ein und das Blitzlicht erhellte den Flur als er fotografierte, da regte sich Chris auf einmal. Sein Mundwinkel hatte kurz gezuckt. Dale hatte es nur aus dem Augenwinkel gesehen, doch es war tatsächlich passiert. Jetzt legte sich die Stirn kurz in Falten, lockerte sich jedoch sofort wieder.

Dale musste sich beeilen. Er nahm seinen ausgezogenen Handschuh, fegte damit flüchtig, aber fest aufdrückend über Chris’ Schwanz, dort, wo er ihn berührt hatte und stand dann schleunigst auf. Er sah erneut prüfend auf den Boden des Flurs, schien aber nichts vergessen zu haben, wie er vorher schon bemerkt hatte. Also konnte er gehen. Dale sträubte sich allerdings zu gehen, da er das Gefühl hatte etwas vergessen zu haben. Plötzlich hörte er eine Tür aufgehen. Er vermutete jemanden im ersten Stock. Die Tür fiel wieder ins Schloss und jemand machte sich auf den Weg nach unten. Sofort raus hier!, dachte er sich nur noch und sprang zu Tür, die er heftig aufriss und in die Außenwelt stürzte. Er hörte die Tür innen gegen die Wand schlagen, da rannte er aber schon nach links zur Hauptstraße in die entgegengesetzte Richtung, als von wo er gekommen war. Hoffentlich sieht mich keiner, dachte er dabei. Mit einer Hand fummelte er über seinem Kopf an der Kopfbedeckung seiner Jacke rum, um sie schützend über seinen Kopf zu ziehen. Nachdem ihm das gelungen war, konzentrierte er sich wieder darauf, so schnell wie möglich vom Tatort wegzukommen. An der Hauptstraße angelangt, bog er nach rechts ein, in Richtung seines Zuhauses, das allerdings noch mehrere Kilometer entfernt war. Er musste zu seinem Fahrrad gelangen, das er in der Nähe versteckt hatte. Zuerst wollte er jedoch von dieser Straßenseite runter, also wartete er beim Weitegehen darauf, dass die Straße leer wurde und lief dann im Laufschritt zum Mittelteil.

Er spürte die Blicke förmlich in seinem Rücken, die ihn verurteilten und verraten würden. Die, die ihn gesehen hatten und wussten, was er getan hatte. Bestimmt war bereits jemand hinter ihm her, doch er durfte sich nicht umdrehen, denn sonst würde er nur verdacht schöpfen, denn eigentlich wusste er genau, dass ihn keiner gesehen haben dürfte. Und wenn doch, wer würde vermuten, das er etwas derartiges vollbracht hatte. Sein Verstand widersprach sich auf dieser kurzen Strecke eindeutig mit seinem Gewissen, doch die Tat war begangen und er konnte sie nicht rückgängig machen.

Als er schließlich die andere Straßenseite erreicht, fühlte er sich endlich frei. Er befand sich seiner Meinung nach in Sicherheit, wenngleich er dort genauso entdeckt werden konnte. Er fühlte es einfach.

Die Straße weiter runter laufend, dachte er über das eben Geschehene nach. Was würde Chris jetzt denken? Und vor allem: wie fühlte er sich? Ging es ihm schlecht, war er entsetzt, traurig, wütend oder sogar ängstlich. Dale hatte bei diesem Gedanken irgendwie ein schlechtes Gewissen. Er wollte Chris einerseits nichts tun und fühlte sich selber schlecht, wenn es ihm schlecht ging oder zumindest er dachte, dass es ihm nicht gut ging. Andererseits empfand er sein Attentat als berechtigt und befreiend. Er hatte auf einer Weise von Chris das bekommen, was er gewollt hatte. Nähe und Verbundenheit. Jetzt waren sie verbunden, aber wie: sie beide verband diese Tat.

Dale hatte sein Fahrrad erreicht, dass an einem Zaun gekettet war. Er schloss es ab und fuhr geschwind nach Hause, ohne das er verfolgte wurde. Dort angekommen, nahm er zuerst ein heißes Bad und gab sich seiner Befriedigung hin. Als er sich seinen Schlafanzug angezogen hatte, versteckte er seine Beweise an einem Versteck, wo nie jemand suchen würde. Seine Handschuhe hatte er schon auf dem Weg nach Hause in eine Mülltonne geworfen, zusammen mit dem Chloroform und dem Tuch, dass er in der Jackentasche aufgehoben hatte.

Seine Mutter hatte ihn gleich gefragt, wo er denn gewesen sei und natürlich log er sie an. Dabei fragte er sich, wie oft er diesen Abend noch verleugnen würde oder dafür lügen musste. Er erzählte ihr jedenfalls, bei einer Freundin gewesen zu sein und dort Hausaufgaben gemacht zu haben. Da sie ihm vertraute, fragte sie nicht weiter nach. Als nächstes musste er seine Sachen im Zimmer verteilen, denn die meisten davon waren von oben bis unten hin mit Schweiß durchnässt und mussten erst mal trocknen. Er hatte überhaupt nicht mitbekommen, dass er dermaßen viel geschwitzt hatte.

 

Am nächsten Morgen war Dale noch immer aufgeregt. Heute würde er in der Schule etwas über Chris’ Zustand erfahren. Wenn er überhaupt kam, dann würde er schon sehen, wie es ihm ging, wenn er aber nicht kam, war offensichtlich, dass es ihm ganz und gar nicht gut ging. Dale schwang sich, nach zu langem Warten darauf, dass er losfahren konnte, um nicht zu früh anzukommen, auf sein Fahrrad und fuhr gut gelaunt zur Schule, wobei ihm die Fragen über Chris nicht  aus dem Kopf gingen.

Als er schließlich ankam und sein Fahrrad gemütlich anschloss, sah er weit und breit noch nichts von ihm. Er ging dieses Mal nicht in die Schule, wie sonst, sondern wartete vorne auf dem Vorhof. Dabei überlegte er sich, was er seinen Freunden sagen würde, denn sie wussten nichts von ihm und Chris, aber er musste sie irgendwie dazu bringen, auf dem Hof mit ihm zu warten. Sie sollten sehen, wenn er kam, da sie ihn allesamt nicht leiden konnten und sein Anblick für sie genauso lustig sein würde, wie für Dale. Bei dem würde allerdings auch Mitleid mitspielen, jedoch auch Stolz auf sein Werk.

Susi kam als erstes. Sie kannte er am längsten und sie fragte ihn sofort, was er denn hier draußen tat.

Er legte ihr die vorbereitete Antwort vor: ,, Ich warte noch hier draußen. Ich will noch nicht rein. Unser Raum ist noch zu, da war ich schon gucken.“

, Ok, ich warte auch, aber können wir uns hinsetzen?“ Dabei sah sie zu den Bänken, die neben dem Eingang standen.

,,Du kannst dich ja hinsetzen. Ich steh lieber.“ Dale war viel zu aufgeregt, als dass er sich jetzt still hinsetzen konnte.

Die anderen kamen auch demnächst, einer nach dem anderen. Anja, Juliane, Sarah und die zweite Sarah. Zu Dales Erstaunen blieben sie alle ebenfalls auf dem Vorhof. Nach Anja hatten sie nicht mal mehr  Fragen gestellt.

Dale wartete jetzt sehnsüchtig darauf, dass Chris auftauchen würde. Seine Freunde, mit denen er sonst kam, waren bereits da, also würde er mit hoher Sicherheit alleine kommen. Aber das hatte Dale erwartet. Ihm wäre das gleichermaßen peinlich gewesen und da hätte er die Begegnung mit Bekannten ebenfalls so lange wie möglich vermieden. Das könnte auch ein Grund sein, dass er überhaupt nicht kam. Vielleicht durfte er auch gar nicht. Immerhin war er jetzt Attentat gefährdet. Dale hoffte jedenfalls, dass Chris noch erscheinen würde.

Seine Freunde unterhielten sich erwartungslos und lachten dabei ausgiebig, Dale jedoch war nicht gerade nach Lachen zumute.

,, Wollen wir nicht langsam hochgehen.“, sagte Sarah schließlich, die es langsam zu kalt fand. Dale sah zwar ein, dass es demnächst Zeit war, hochzugehen, allerdings wollte er noch nicht.

,, Ja gleich.“, versuchte er auszuweichen und Sarah gab noch einen Augenblick nach.

Nach einer weiteren Minute des Wartens sagte sie dann entschlossen: ,, Ich geh jetzt hoch. Mir ist das zu kalt.“

Dales Befürchtung bewahrheitete sich, denn als Sarah kaum einen Schritt zur Tür gemacht hatte, standen alle auf, nahmen ihre Sachen und folgten ihr, ohne ein Wort zu sagen.

Dale musste sich entscheiden, blieb er hier oder ging er mit? Da Chris wahrscheinlich ja doch nicht kam, packte auch er seine Sachen und lief mit ihnen mit. Sollte er dennoch kommen, würde er ihn noch früh genug zu Gesicht bekommen.

In dem langen Gang des Erdgeschosses liefen sie zum Vertretungsplan in der Mitte des Ganges, wo alle Nachrichten und Informationen hingen bzw. lagen. An diesem Tag sollten sie wohl keine Vertretung haben, denn der Plan war leer. Es klingelte gerade, zur Information, dass in 5 Minuten der Unterricht begann, da sah Dale die Tür zum Eingang aufgehen. Auch wenn es recht weit weg war, erkannte er sofort Christophers Sachen, die zum Vorschein kamen. Sein Herz klopfte jetzt. Das Adrenalin strömte in seinen Adern. Es kam ihm noch gar nicht so lange her, dass er vor ihm gehockt und sich seiner angenommen hatte. Er dachte kurz, wie Chris auf den Anblick von ihm reagieren würde, da fiel ihm wieder ein, dass er gar nichts von seinem Anwesen bei der Tat wusste.

Seine Freunde wollten sich gerade auf den Weg zum Treppenhaus machen, dass noch weiter den Gang rauf war, da hielt sie Dale ungeschickt zurück: ,, Wartet mal. Seht mal, wer da kommt.“ Er erhoffte sich davon, dass sie irgendeine Bemerkung zu Chris machen würden, wie sie es manchmal taten, stattdessen drehten sie sich nur um und blickten Chris zu, der den Gang mit schnellen Schritten durchlief, mit seiner Kapuze weit über den gesenkten Kopf gezogen. Er hatte sie anscheinend noch nicht gehört. Und das würde auch so bleiben, wenn seine Freunde weiterhin so entsetzt dastehen und nichts sagen würden. Sie schienen sofort realisiert zu haben, dass da was nicht stimmte und sie hatten vollkommen recht. Chris’ Art, wie er lief und seinen Körper hielt, war zu außergewöhnlich. Es war nicht mehr das stolze Voranschreiten, das sorglose Herumwandern. Er sah bemitleidenswert aus und Dale verstand  auch sehr gut, warum.

,, Was ist denn mit dem los?“, fragte Sarah leicht besorgt.

Das hörte diesmal auch Chris, der bereits kurz vor ihnen war. Er hob völlig erschrocken den Kopf, um flüchtig zu sehen, wer vor ihm war. Auch bei dem nur kurzen Hochblicken sah man, dass ihm die Haare fehlten und er einen beschämten Gesichtsausdruck aufgesetzt hatte. Als er die erschrockenen Gesichter sah, außer natürlich bei Dale, da senkte er auf der Stelle wieder den Kopf und bog schleunigst nach links ins Treppenhaus.

Dale hatte äußerste Schwierigkeiten nicht zu lachen, doch wenn er keine Aufmerksamkeit auf sich lenken wollte, dann musste er sich zusammenreißen.

,, Is ja krass, was mit dem passiert ist.“, sagte Susi, klang dabei auch sichtlich überrascht. ,, Ich frag mich, wie das passiert ist. Vielleicht ist er krank?“

Dale war erleichtert. Er hatte befürchtet, dass man sofort auf einen Anschlag kommen würde, aber als er es sich noch mal von der anderen Seite durch den Kopf gehen ließ, wurde ihm klar, dass diese Vermutung absurd klingen musste. Das hieß ja erst mal, dass er sicher war, jedenfalls bei seinen Freunden. Sarah ging wieder als erstes weiter und die anderen folgten ihr.

In den ersten beiden Stunden war es für Dale unerträglich. Er wollte unbedingt wissen, wie es Chris ging. Nicht etwa, weil er ihn bemitleidete, sondern weil er das Resultat seines gestrigen Unternehmens begutachten wollte. Die Stunden gingen dahin wie eine Schnecke, die einen Hundertmeterlauf veranstaltete. In der kleinen Pause dazwischen musste Dale leider nicht an der Parallelklasse vorbei, so dass er Chris nicht begegnete. Dann, nach endlos langem Warten, kam endlich die Hofpause und Dale hoffte, dass Chris sich dort blicken ließ. Er wartete auf dem Hof und stände genau neben seiner Gruppe, wenn er endlich kommen würde, aber Dale wartete vergebens. Alle 10 Sekunden sah er zur Tür und jedes Mal, wenn jemand herauskam, aber Chris war kein einziges Mal dabei. Seine Freunde waren allesamt auf dem Hof, woraus Dale schloss, dass er eine Extrabehandlung bekam. Trotzdem konnte er die Augen nicht vom Ausgang abwenden. Seinen Freunden fiel das natürlich auf.

,, Sag mal, auf wen wartest du denn?“, fragte Susi. ,, Hast du dich etwa verknallt?“

,, Wenn du’s genau wissen willst, ja?!“, antwortete er, doch keinesfalls mit der Absicht, ihr die ganze Wahrheit zu sagen.

Susi jedenfalls war auf einmal hin und weg. ,, Ja. Wer ist es? Kenn ich sie? Wie heißt sie?“

Die anderen sahen Dale auch fragend an, aber nicht so enthusiastisch wie Susi.

,, Sag ich nicht.“ Dale musste grinsen, als er sich die Gesichter von den anderen vorstellte, wenn er die Wahrheit sagen würde.

,, Kenn wir sie?“, fragte Jule.

Dale wusste nicht recht, was er antworten sollte. Er wollte nicht lügen, aber mit ja oder nein konnte er die Frage auch nicht beantworten. ,, Jein!“, sagte er stattdessen.

,, Haha.“, sagte Susi empört.

Den Rest der Pause drängte Susi ihn natürlich weiter, aber er blieb hart. Dass er etwas von Christopher wollte, konnte er ihr nach dem Attentat sowieso nicht sagen. Das wäre zu riskant für sein ganzes Leben, denn wenn man ihn erwischte, wäre das vorerst sein Ende.

Nach der Hofpause, im Klassenraum, saß Dale auf seinem Platz neben Anja und dachte an Chris, was dieser wohl jetzt tat. Wie hatten wohl seine Freunde reagiert? Hatte sich das ganze schon rumgesprochen? Wie zur Antwort auf seine gedachte Frage, hörte Dale auf einmal rechts neben sich, wie Olli, Tony und Hannes sich über Christopher unterhielten.

,, Chrissie hat echt voll die Arschkarte gezogen.“, sagte Tony.

,, Ey, wer macht denn so was?“, fragte Olli und fuchtelte mit den Armen.

,, Chrissie kann einem echt leid tun.“, meinte Hannes.

Dale überlegte, ob er sich in das Gespräch einmischen sollte, allerdings wäre es nicht ungefährlich. Interesse zu zeigen weckt immer aufsehen. Aber wahrscheinlich wurde er langsam paranoid. Er traute sich einfach, denn er wollte Informationen.

,, Was ist denn passiert?“, fragte er laut zu dem Nebentisch.

,, Du kennst doch Chrissie, aus der 10/3, oder?“, begann Tony zu erzählen. Dale nickte und tat, als wüsste er von nichts. ,, Gestern hat ihn jemand angegriffen und ihm die Haare abrasiert, nachdem er ihn betäubt hat.“

,, Echt?“, tat Dale überrascht.

,, Ja, voll irre, oder?“, sagte Olli mit seinem berühmten, nicht verstehenden Blick.

Dale wagte jetzt etwas zu fragen, was man eigentlich nicht fragte, aber er konnte nicht anders. ,, Und woher wisst ihr das?“

,, Willi hat es uns auf der Hofpause erzählt.“, meinte Tony.

,, Und wissen die schon, wer es war?“, fragte Dale weiter.

,, Ich glaube nich.“, sagte Olli. ,, Aber es soll wohl Spuren am Tatort gegeben haben.“

Dale horchte auf, musste aber gleichzeitig unscheinbar tun. Er wusste nicht, ob es ihm geglückt war, aber es schien ihnen nichts aufgefallen zu sein. Er bekam wahrscheinlich gerade noch mal die Kurve.

,, Das is ja immerhin etwas. Ich frag mich echt, wer zu so etwas in der Lage ist.“ Er sagte genau das, was man in so einer Situation sagen sollte und das überzeugte. Das hatte er schon immer gut gekonnt, aber leider ging es manchmal auch schief. Wenn man nämlich immer das sagt, was andere hören wollen, hat man keine eigene Meinung und wird schnell langweilig. Er hatte Erfahrung darin.

Der Unterricht fing schon an und Dale grübelte darüber, was das für Spuren sein konnten. Er hatte doch so gründlich gearbeitet. Anja, die das Gespräch nur halb mitbekommen hatte, fragte in der Zeit, wo sie arbeiten mussten, was denn geschehen sei und Dale berichtete es ihr, wobei er aufpassen musste, dass er nicht mehr verriet, als er gehört hatte. Ihm war leider rausgerutscht, dass es bei Chris zu Hause passiert war und er hoffte, dass ihm dieses Missgeschick nicht zum Verhängnis wurde. Es fiel jedenfalls noch nicht auf.

Als sie den Raum in der kleinen Pause wechselten, berichtete Dale gerade Susi, was er angeblich gehört hatte und tat natürlich so, als wäre er empört und wüsste von nichts, da begegnete Dale im zweiten Stock einem aus der 10/3. Sofort wurde er wachsam und sucht alles ab. Es kamen nun mehr von ihnen aus dem Mittelgang und wenn er Glück hatte, könnte er Chris sehen.

,, Was ist denn los?“, fragte Susi, als er mitten im Satz aufgehört hatte.

Zur Ablenkung sagte er: ,, Vielleicht können wir ihn gleich sehen. Mich würde ja interessieren, wie er sich jetzt benimmt, wo er doch immer so hochnäsig ist.“

,, Du hast ja recht,“, sagte Susi leicht irritiert. ,, Aber das macht man doch nicht. Der Junge hat es jetzt voll schwer.“

Dale hatte das leichte Gefühl, dass er schon wieder zu weit gegangen war. Er musste sich zügeln. Und da war er. Dale erkannte es genau. Da war er, mit seiner übergezogenen Kapuze. Chris sah weiterhin auf den Boden. Wahrscheinlich würde sich daran in nächster Zeit nichts ändern. Dale musste nun weiter die Treppe hoch und Chris ging den Gang weiter runter. Irgendwie verletzte es Dale nun, ihn so zu sehen. Beinahe bereute er seine Tat, aber nur beinahe. Flüchtig sah er noch, wie Olli mit Chris redete.

,, Ey man, wie geht’s?“ Und schon lief er um die nächste Biegung, abgeschlossen von dem interessanten Geschehen und Chris’ Antwort.

In der nächsten Stunde hatten sie bei ihrem Klassenlehrer. Dale saß zwischen Anja und Jule, wobei die Freunde von Chris, also Olli und co., vor ihm saßen. Herr König, ihr Lehrer, hatte eine sehr ernste Miene aufgesetzt, als er in den Raum trat und als die Stunde begann, hatte sich nichts daran geändert. Wie so oft herrschte mal wieder nicht sofort Ruhe im Raum und zur Überraschung aller schrie Herr König plötzlich, als er bereits eine Minute geschwiegen hatte.

,, HHEEYY. ES IST UNTERRICHT!“

Sofort hatte er die Aufmerksamkeit von allen. Erschrocken setzten sich die, die noch standen, doch wie immer wollte wieder einer diskutieren.

,, Sie müssen deswegen ja nicht…“, begann Leo, doch wurde er von der Wut seines Lehrers unterbrochen.

,, HALT den Mund, Leo.“

Jetzt hatte es auch der letzte begriffen. Herr König war richtig sauer und erhielt damit die Ruhe, die wahrscheinlich noch nie in dieser Klasse geherrscht hatte.

,, Entschuldigt bitte.“, fing er sich wieder einigermaßen und fuhr mit etwas ruhiger, aber dennoch ernster Stimme fort. ,, Einige von euch,“, er sprach mit Pausen, so entsetzt schien er immer noch von der Nachricht des Attentates zu sein. Dale wusste genau, dass es darum ging und hatte durch die Reaktion seines Lehrers ein überaus schlechtes Gewissen. ,, wissen vielleicht, … dass gestern Abend einer unserer Schüler… überfallen wurde.“ In der Klasse machte sich staunen breit, doch seltsamerweise blieb es trotzdem ruhig. ,, Es gibt dadurch eine … eine Maßnahme, die ich euch nun mitzuteilen habe. Polizeibeamte werden in heute einige Ermittlungen an unserer Schule vornehmen. Die Schulleitung fordert deshalb alle Schüler auf, kooperativ zu sein, damit der betreffende Schüler die Chance erhält, … für zumindest einen Teil entschädigt zu werden, indem der Täter gefasst wird. In den Pausen werden sie mit einigen von euch reden wollen.“

Die Klasse war immer noch ganz still und niemand traute sich, etwas zu sagen, oder sie waren immer noch zu verdutzt über diese Nachricht. Es war auch schwer zu fassen, dass so etwas an dieser Schule geschah, die allgemein einen äußerst guten Ruf hatte. Nur Dale war sich im Klaren darüber, was genau geschehen war und warum es passiert war. Zum Glück hatte er nichts Verdächtiges dabei, also brauchte er die Beamten nicht sonderlich zu befürchten.

,, Wer ist es denn?“, fragte jemand von hinten.

Herr König überlegte, was er antworten sollte, schließlich: ,, Es ist jemand aus eurer Jahrgangsstufe, aber ohne seine Einwilligung darf ich euch nichts erzählen.“ Wie immer hielt er sich an die Vorschriften.

Olli, Tony und Hannes machten keine Anstalten etwas dazu beizutragen. Wahrscheinlich war ihnen ihr Freund doch nicht so egal, wie sie manchmal taten. Sie waren Prolls, die es selten zeigten, ob ihnen wirklich etwas an ihren Freunden lag. Ihre Freundschaft sah nach außen hin immer wie eine oberflächliche Bekanntschaft aus, die nur aus gemeinsamen Interessen bestand, aber keiner von ihnen würde die Hand für den anderen ins Feuer legen. Es gab, wie heute, aber doch Momente, in denen das ganz anders wirkte.

Gleich nach der Stunde kamen sie schließlich, die Beamten. Zwei Männer in ihrer grünen Uniform begrüßten die Klasse mit ernstem Gesicht, als alle gerade ihre Sachen packten. Dann sprachen sie kurz mit dem Lehrer und begannen mit ihren Untersuchungen. Aus der ersten Reihe forderte der größere, schwarzhaarige Polizist, der mit seinem kantigen Gesicht furchteinflößend wirkte, einzelne zu einem Gespräch unter vier Augen auf. Der andere, schmale Mann lief zur letzten Reihe. Alle anderen verließen derweil den Raum und wurden aufgefordert, sich auf dem Schulhof aufzuhalten.

Der große Mann kam nach den ersten Unterredungen auch zu Dale, der auf dem Schulhof mit seinen Freunden stand. Mit strengem Blick sah er Dale an, wobei Dale fast fürchtete etwas mit seinem Verhalten zu verraten. Das Gespräch verlief nach Dales Auffassung ganz gut. Es ging darum, was er an dem vergangenen Abend gemacht hatte und er antwortete nur zu Hause gewesen zu sein, wie wahrscheinlich ein Dutzend anderer Schüler.

Als der Beamte sich gerade von ihm abwenden wollte, blieb er abrupt stehen und sah ihn verdutzt an. „Was ist das?“, fragte er plötzlich und Dales Herz sprang ihm beinahe aus der Kehle.

Erschrocken sah Dale auf das, was die Aufmerksamkeit des Polizisten erregt hatte. Der Mann griff nach seinem linken Arm und hielt einen Teil der Jacke in der Hand. Darauf erkannte Dale einen kleinen Fleck, den er nicht bemerkt hatte. Der Polizist roch daran, ohne auf eine Antwort von Dale zu warten. Schließlich blickte er mit einer Miene zu Dale auf, die ihm den Atem raubte. Ein ungutes Gefühl von solch grausamer Stärke durchfloss ihn, dass sein Körper zu zittern anfing. Er hoffte, dass es nicht weiter auffiel, doch die Blicke des halben Schulhofs waren auf ihn gerichtet. Wie konnte es nicht auffallen? Seine Angst bereitete ihm nur noch mehr Unbehagen.

,, Was ist das? Habe ich gefragt!“, wiederholte der Mann in scharfem Ton.

Verzweifelt antwortete Dale: ,, Ich weiß nich.“ Er klang erbärmlich, doch er konnte nichts dagegen tun. Er wusste, was dem Beamten aufgefallen war. Ein kleiner Klecks, der weiß schimmerte konnte nur eines bedeuten. Warum hatte er bloß nicht auch seine Jacke gewechselt?

,, Wir nehmen eine Probe davon mit. Bis zur Ergebnisvorlage wird es nicht lange dauern, dann hörst du von uns.“ Nach seiner Ansage holte er ein Wattestäbchen aus seiner Innentasche, entnahm dem Fleck eine Probe und steckte sie in einen Glasbehälter, das daraufhin zurück in der Jacke verschwand.

Die Suche ging weiter, ohne dass in ihrer Klasse noch Weiteres auffiel. Nachdem die Polizisten vom Hof verschwunden waren, blickten einige verwundert zu Dale. Es war verdächtig, dass der Polizist so lange bei ihm gebraucht hatte. Aber keiner konnte sich vorstellen, dass Dale zu dieser Tat fähig wäre. Immerhin war er der beste Schüler, der so gut wie immer korrekt handelte. Wie konnte dieser so etwas tun? Dennoch brodelten die Gerüchte an diesem Tag, doch kamen sie der Wahrheit nicht wirklich nah.

Dale beteiligte sich an diesem Tag nicht an den Rumoren und Spekulationen. Er war verwirrt, beängstigt und zutiefst niedergeschlagen, da ihm die möglichen Folgen seiner Tat bewusst wurden. Was sollte er bloß tun? Vorerst Ruhe bewahren! Das war die Devise, und die war von nun an äußerste Priorität für ihn. Der Unterricht war irgendwann vorbei. Auf dem Nachhauseweg lief er mit seinen Freunden noch ein Stück zusammen, bis sich die ersten verabschiedeten und in eine andere Richtung einbogen. Nur Jules blieb noch ein paar Straßen bei ihm, doch sie schwiegen sich nur an. Dann, ganz unverhofft, fragte sie ihn mit gesenktem Blick: ,,Du warst das nicht, oder?“

 

 


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